: Kurzes Wunderhorn
■ Ernst Jandl steigt mit seinem neuen Gedichtband ins Anzeigengeschäft ein
Vergiß deine vergeßlichkeit/ gelobt sei die verläßlichkeit“, reimt der Altmeister der konkreten Poesie, Ernst Jandl, in seinem neuen Gedichtband. Der Titel des Bands ist selbst ein Produkt der Vergeßlichkeit: „peter und die kuh“ heißt das Gedicht, nach dem das Buch benannt ist („oder war es die ziege / oder war es der löwe / oder war es der frosch / oder war es die zerstreutheit / des großen sergej prokofjew / oder war es die vergeßlichkeit / eines seiner glühenden verehrer“).
Die Klage über die verschiedenen körperlichen Begleiterscheinungen des Alters durchzieht nun schon seit beinahe zwei Jahrzehnten das Werk Jandls. In seinem neuen Band schreibt der 71jährige eine „kleine körperliche biografie“ und buchstabiert die Glieder seines Körpers durch: „die knie“, „stirn“ und „die hand“ werden zum Thema des Gedichts. Zunehmend verweigert sich der Körper dem Willen: „mein halbschlitten / hindert mich am knien. doch ich beuge mich / ohne anstrengung – meine übliche / haltung. mein glied, täglich gewaschen / hat verlernt / den täglichen aufstand. rebellion / geschieht in meiner seele / um die ich kämpfe“.
Obwohl düstere Töne die Grundstimmung ausmachen, kreist der neue Gedichtband Jandls nicht allein um die Themen körperlicher Verfall und Tod. Im „Kampf um die eigene Seele“ sind zahlreiche Texte entstanden, die an die sprachspielerische Tradition seines Werks anknüpfen. Einige davon sind im Wiener Dialekt geschrieben, andere in englischer Sprache. „Ich han min len“, triumphierte Walther von der Vogelweide vor 750 Jahren, nachdem er von seinem König ein Lehen zur Altersversorgung verliehen bekommen hatte. Jandl geht andere Wege und bietet in seinem Gedicht „author's last choice“ alle seine Aufzeichnungen, Bücher, Manuskripte usw. an „[...] in exchange for the lease of a villa / of a minimum of eight rooms / in a beautiful western district of Vienna / with garden and a minimum of staff / for keeping up the house, cooking, etc.“ Während unsereins für Inserate gutes Geld auf den Tisch legen muß, streicht der Dichter sogar noch Honorar für die versteckte Anzeige ein.
Unerschöpflich ist Jandls Interesse für die Genitalregion des Körpers („immer sind es die mit dem kurzen schwanz / die sich zurückgesetzt fühlen / während Neger schallend lachen“). Er blättert in einem Wiener Dialektwörterbuch und findet das Wort „brunzwimmal“ für den zu klein geratenen Schwanz: „a so a scheens woat“, schwärmt Jandl in einem Vierzeiler. Dem Wiener Dichter verdanken wir eine literaturhistorisch denkwürdige Ergänzung der von-Arnim/Brentanoschen-Liedsammlung, nämlich ein „unterdrücktes gedicht“ aus „des knaben wunderhorn“. Es ist – schlicht gesagt – das Schlüsselgedicht der Sammlung, das von Jandl nachgeliefert wird, denn was anderes meint des knaben wunderhorn (lesen Sie zweimal), wenn nicht „a brunzwimmal“? Ein anderes Thema sind die Fäkalvisionen des Dichters: „ich scheiß mich an / es rinnt die bein hinunter / und ich geh ganz blaß / durch die wohllebgass‘// ich riech ich stink / kommt wer vorbei / weiß ich nicht ob er denkt / daß ich es sei [...]“. Oder die mundartliche Variante: „i bin anfoch a nui / hinta mia sogs olle pfui / denn aus dera nui kommt a gschdonk / i bin anfoch oaschlochkronk“.
Letzteres gehört freilich nicht zu den Widmungsgedichten, die im Band ansonsten reichlich vertreten sind. Die meisten davon sind Dichterkollegen zum runden Geburtstag zugeeignet. Eine Ausnahme macht das Gedicht „kammer“, das der „arbeiterkammer wien“ gewidmet ist: „die kammer./ die vielen arbeiter darin./ die vielen armen arbeiter darin./ so eng./ so eng./ die stockbetten./ die strohsäcke./ o jammer.“ Nein, Jandl hat seine Lust am Dichten längst nicht verloren. Mehr als ein Dutzend Gedichtarten hat er in „peter und die kuh“ erfunden (etwa das „desinfizierte gedicht“ oder das „verkrustete gedicht“). Er hat ein „kleines weihnachtsoratorium“ geschrieben, eine „kleine improvisation“ und eine „kleine poetik zum einprägen von philosophennamen“ („schopenhauer / auf der lauer / sieht wie kant / unverwandt / fichtes nichte hegelt“). Auch auf die Frage, was dem Dichter am Nachruhm gelegen sei, hat Jandl schon eine Antwort gegeben – in einem Dreizeiler: „ewig lebt / wer nie / gelebt hat“. Peter Walther
Ernst Jandl: „peter und die kuh“, Luchterhand, 168 S., 29,80 DM
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