: Bonn schweigt fein still
■ Wegen seines Wunsches nach einem ständigen Sitz im Sicherheitsrat hält Bonn sich mit Kritik an den USA zurück
Anders als Frankreich, China und Rußland, die sich offiziell für eine zweite Amtszeit von Butros Ghali als Generalsekretär der UNO ausgesprochen und die Veto-Ankündigung der Clinton-Administration mit deutlichen Worten kritisiert haben, hält sich Deutschland bislang bedeckt. Dabei ist die Regierung Kohl/Kinkel mit dem Ägypter in den letzten vier Jahren ganz gut gefahren.
Butros Ghali realisierte sehr schnell, daß nach dem Ende des globalen Ost-West-Konflikts statt der von vielen Menschen erhofften und auch von ihm häufig beschworenen „neuen und gerechten Weltordnung“ die unilaterale Vormachtstellung der USA drohte. Hier galt es für den Generalsekretär, Gegengewichte zu schaffen – auch zwecks Erhaltung eigener Spielräume innerhalb des UNO- Systems.
Auf seine Initiative wurden zwei kleinere UNO-Institutionen von Genf nach Bonn verlegt, eine fragwürdige Entscheidung angesichts der bislang effizienten Zusammenarbeit der verschiedenen UNO-Einrichtungen in Genf und dem Umzug der Bundesregierung nach Berlin.
Im Sommer 1994 ließ sich Butros Ghali von Bonn zu einem klaren Verstoß gegen Artikel 100 der UNO-Charta hinreißen, wonach der Generalsekretär eine ausschließlich internationale Rolle zu spielen und sich aus innenpolitischen Kontroversen einzelner Mitgliedsstaaten völlig herauszuhalten hat.
Auf schriftliche Bitte von Bundeskanzler Helmut Kohl hin erklärte der UNO-Generalsekretär sich damals bereit, im von der SPD-Opposition angestrengten Verfahren vor dem Karlsruher Verfassungsgericht um Auslandseinsätze der Bundeswehr als Zeuge für die Bundesregierung auszusagen. Erst nach einer Intervention von Butros Ghalis New Yorker Beratern in buchstäblich letzter Minute wurde der Statthalter des Generalsekretärs in Europa, der Generaldirektor der Genfer UNO-Zentrale Vladimir Petrovsky, nach Karlsruhe entsandt.
Doch die Unterstützung, die Butros Ghali und die UNO im Gegenzug seit Anfang 1992 aus Deutschland erhielten, blieb bescheiden. Zwar ist der finanzielle Pflichtbeitrag des vereinten Deutschland zum regulären UNO- Haushalt heute in absoluten Zahlen der dritthöchste (nach dem der USA und Japans), worauf von Bonner RegierungspolitikerInnen gerne verwiesen wird. Doch das ist kein Zeichen besonderen Bonner Engagements, sondern ergibt sich aus Berechnungskriterien (Wirtschaftskraft, Bevölkerungszahl, Größe des Landes), die für alle 185 UNO-Staaten gleichermaßen gelten.
Darüber hinaus hat sich Deutschland weit weniger als andere, auch wirtschaftsschwächere Staaten mit freiwilligen materiellen oder personellen Beiträgen an der Umsetzung von UNO-Aufgaben beteiligt. Die Teilnahme an friedenserhaltenden Maßnahmen der UNO erfolgte bislang nur an Orten und mit Mitteln, die der Bundesregierung zur Profilierung der Bundeswehr bei Auslandseinsätzen geeignet erschienen. So zum Beispiel in Somalia und dem ehemaligen Jugoslawien.
Als Butros Ghali Anfang 1994 dringendsten Bedarf für die Entsendung einer internationalen Peacekeeping-Truppe nach Ruanda zwecks Verhinderung weiteren Völkermords anmeldete, ließ Deutschland den Generalsekretär ebenso im Stich wie die meisten anderen UNO-Staaten. Ähnliches gilt für Burundi.
Die Bundesregierung geht nach Angaben deutscher UNO-Diplomaten davon aus, daß Butros Ghali keine Chance für eine zweite Amtszeit mehr hat, da die Clinton- Administration auch nach einem Wahlsieg am 5. November bei ihrem Veto bleiben werde. Eine öffentliche Kontroverse mit Washington sei daher überflüssig und könnte sich negativ für Bonn auswirken.
Kritik am Vorgehen der Clinton-Administration in der Generalsekretärsfrage sowie an der „Erpressungspolitik der USA“ gegenüber der UNO äußern Vertreter der Bundesregierung und deutsche Diplomaten allerdings gegenüber den Regierungen des Südens. Dabei spielt das Kalkül eine Rolle, daß diese Staaten die Bundesrepublik bei ihrem Bestreben nach einem ständigen Sitz Deutschlands im Sicherheitsrat in der UNO-Generalversammlung unterstützen werden. Deutschland ist seit Anfang 1995 bis Ende diesen Jahres turnusgemäß vorübergehendes Mitglied des Sicherheitsrats. Bonn setzt darauf, daß, nachdem über die ständige Mitgliedschaft bereits drei Jahre ergebnislos beraten wurde, die Generalversammlung noch dieses Jahr hierüber abstimmen wird.
Der Präsident der Versammlung, Malaysias Botschafter Razali Ismali, habe der Bundesregierung zugesagt, er werde die Abstimmung jetzt auf die Tagesordnung der UNO-Generalversammlung setzen, verbreitete das Bonner Außenministerium vor drei Wochen. Razali dementierte diese Bonner Darstellung inzwischen gegenüber der taz als „absolute Einbildung“.
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