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Rückendeckung für Alexander Lebed

■ Rußlands Präsident Jelzin verteidigt Tschetschenien-Politik und schließt einen Rücktritt wegen Herzerkrankung aus

Moskau (dpa/AFP) – Der russische Präsident Boris Jelzin denkt trotz seiner langwierigen Herzkrankheit nicht an Rücktritt. Rußland habe einen „handelnden Präsidenten“, betonte der 65jährige gestern in einer Rundfunkansprache an die Nation. Jelzin, der sich im Moskauer Zentralkrankenhaus auf seine Bypass-Operation vorbereitet, warnte vor Eile beim „Wechsel des Präsidentenbildes“ in den Amtsstuben. „Manchmal bekommt man den Eindruck, daß bestimmte Politiker die Krankheit des Präsidenten für ihre eigenen Ziele mißbrauchen ...“, zitierten die russischen Nachrichtenagenturen aus der Rede.

Jelzin stellte sich auch ausdrücklich hinter die am Vortag im Parlament heftig kritisierte Tschetschenienpolitik seines Sicherheitsberaters Alexander Lebed. Lebed habe im Namen der Präsidentschaft gehandelt und zum Ende der Kämpfe in der Kaukasusrepublik beigetragen, sagte Jelzin. Bei einem knapp halbstündigen Gespräch sprachen Jelzin und Lebed anschließend über weitere Maßnahmen zur Entschärfung der Tschetschenienkrise. Lebed erwog dabei offenbar seinen Rücktritt aus Unzufriedenheit über zu wenig Einfluß auf die Personalpolitik in der Führung der Streitkräfte. Für einen Rücktritt Lebeds gebe es „keine ausreichenden Gründe“, teilte der Pressedienst des Kremls anschließend mit.

Das Treffen zwischen Jelzin und Lebed war das erste seit dem 12. August. Die lange Pause hatte Spekulationen darüber ausgelöst, ob der Präsident hinter dem von Lebed mit den Unabhängigkeitskämpfern geschlossenen Friedensabkommen steht, das den Abzug der russischen Truppen aus Tschetschenien vorsieht.

Jelzin nannte die Tschetschenienfrage das wichtigste von vielen Problemen, die in Rußland gelöst werden müßten. Vorrangig sei, den Status und die Zusammensetzung der Machtorgane in Tschetschenien zu klären. Erst dann stünden Gespräche über die Finanzhilfe Rußlands für den Wiederaufbau der Kaukasusrepublik auf der Tagesordnung.

Unterdessen hat der Führer der tschetschenischen Unabhängigkeitskämpfer, Selimchan Jandarbijew, gestern mit der russischen Führung in Moskau weitere Schritte zur Beilegung des Tschetschenienkonflikts erörtert. Bei einem Gespräch mit Ministerpräsident Viktor Tschernomyrdin sollte am Nachmittag die Bildung einer Koalitionsregierung für Tschetschenien im Vordergrund stehen. Zuvor hatte Jandarbijew in einem Interview mit der russischen Zeitschrift Argumenti i Fakti angekündigt, er werde eine Wiedergutmachung für die Schäden fordern, die der 21monatige Krieg in der Kaukasusrepublik hinterlassen habe.

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