Leben zwischen Putz, Beton und Mörtel

■ Die Bewohner der Kastanienalle 77 sanieren ihr Haus mit Senatsmitteln und 50 Stunden Muskelschmalz im Monat

Wer hat denn jetzt schon wieder den Hammer geklaut?“ „Hast du 'ne Ahnung, wieso die Bohrmaschine mal wieder nicht geht?“ „Wo ist die Kabeltrommel?“ An guten Tagen geht es hektisch durcheinander auf der Baustelle in der Kastanienallee 77 im Prenzlauer Berg. Auf dem Hof wird ein Graben für Strom- und Wasserleitungen gebuddelt. Der Aufzug rattert die nächste Ladung Putzmörtel in den dritten Stock. Oben verflucht die Elektrocombo den Übereifer der Putzer. Für ein fehlendes Kabel muß nun die frischgeglättete Wand wieder aufgeklopft werden.

Die Handwerker sind keine gewöhnlichen Bauarbeiter. In den lehmverschmierten Arbeitsklamotten stecken „Langzeitstudenten und Arbeitslose“, sagt Nina. „Und mindestens ein Hippie“, kräht Uli. Die Töpferin und der Geographiestudent sind zwei von 25 Bewohnern der „K77“, die ihr Haus in Selbsthilfe sanieren. Seit mehr als einem Jahr leben sie jetzt schon auf der Baustelle. Das gemütliche Schnurren des Betonmischers ersetzt den Wecker, der durch Fenster und Fugen wehende Dreck den Staub der alten Kohleöfen, die mehrmals in der Woche stattfindenden Baubesprechungen und Plena die Kneipentouren. Ein Zimmermann leitet den Bautrupp. Für Spezielaufgaben hat die K77 Fachleute gebucht. Die meisten Arbeiten erledigen die Bauamateure aber selbst.

Rettung für ein Haus

Im Sommer 1992 hatten sie als „NotärztInnen-Komitee Vereinigte Varben Wawavox“ dem seit Jahren leerstehendem Haus theatralisch ein neues Herz eingepflanzt und beschlossen, sich der weiteren Pflege der Gebäude zu widmen. Zwei Jahre später konnten die Besetzer einen langjährigen Erbpachtvertrag abschließen. Mit Senatsmitteln wird nun die vier Millionen Mark teure Sanierung bewältigt. Alle drei Monate kontrolliert der treuhänderische Sanierungsträger List den Baufortschritt. Nur wenn alles gut gelaufen ist, kommt die nächste Förderrate. Mehr als 20 Prozent der realen Kosten müssen die Bewohner mit ihrer Muskelhypothek erwirtschaften. Bisher standen sie dafür zirka 50 Stunden im Monat unbezahlt auf der Baustelle.

Mit Hausschwamm durchsetzte Decken mußten komplett erneuert werden. Auch „Fenster, Dächer, Türen, Bäder, Leitungen, eigentlich alles“, erzählt Tim. Dennoch fällt es nicht leicht, eigene Vorstellungen bei der Totalsanierung durchzusetzen. Das Kultur- und Wohnprojekt ist auf eine Großgemeinschaft angelegt. „Bei Fassadenfarben redet das Denkmalamt mit, und nach außen öffenende Fenster genehmigte das Bauamt erst nach langwieriger Überzeugungsarbeit“, ärgert sich Ute. „Und nach der Sanierung müssen wir 13 Klos putzen.“ Sieben statt der bisher zwei Toiletten hätten Susanne auch gereicht. Aber die Bauordnung schreibt Sanitärstandards vor, ob die Bewohner sie nun für sinnvoll halten oder nicht. Das gewünschte Gründach müssen die sie selbst finanzieren. Der Senat spendiert nur die Standards.

Die Zusammenarbeit mit den Architektinnnen war schwieriger als erhofft. „Bei einem Selbsthilfeprojekt sollte der Architekt sein Fachwissen mit den Ideen des Amateurs verbinden, so daß eine professionelle Gestalt entsteht“, doziert Hausbewohner Mathias. Der ehemalige Architekturstudent war mit den Entwürfen der Planerinnen alles andere als zufrieden. Deshalb entwarf er die neuen Innenwände am eigenen Zeichenbrett. Schräg, gebogen und mit Verwerfungen stehen sie inzwischen im Hinterhaus. Gebaut in fast vergessener Bauweise: aus Holz und Lehm. Begeistert von dem ökologischen Baustoff, der für ein ausgeglichenes Raumklima sorgt, haben die Wawavöxe nun überall wo möglich Lehm an die Wände geklatscht. Die Diskussionen am langen Tisch der Gemeinschaftsküche verzögern immer wieder den Baufortschritt. Christoph will noch mal grundsätzlich über Fensterfarben reden, Silke präferiert nun doch ein Treppengeländer aus Stahl, Georg möchte die Lehmwände kreativer gestalten, und Mathias warnt vor gestalterischer Beliebigkeit. „Prozessuales Bauen“ nennen die Wawavöxe ihr Bauchaos. „Vieles begreift man im wahrsten Sinne des Wortes erst auf der Baustelle“, meint Tim. Daher könne auch nur so wirklich bewohnerorientiert saniert werden. Im Oktober soll das Hinterhaus der K77 endlich beziehbar sein. Doch noch mindestens anderthalb Jahre wird es dauern, bis auch die anderen Gebäudeteile ausgebaut sind.

Seit Anfang der achtziger Jahre wurden mehr als 250 Selbsthilfeprojekte in Berlin gefördert. Darunter viele ehemals besetzte Häuser oder Projekte mit sozialem und kulturellem Charakter. Dort wurde zum Beispiel arbeitslosen Jugendlichen eine Perspektive geboten. Aber auch ganz normale Mieter schlosssen sich zusammen, um ihr Haus in Eigenregie zu sanieren.

Bis zu 30 Prozent billiger

Fachleute lobten nicht nur die qualitativ und ökologisch hochwertigen Gebäude. Studien belegten zudem, daß ein Selbsthilfeprojekt bis zu 30 Prozent billiger sein kann als herkömmliche Baustellen. Dennoch stehen die Chancen für weitere Projekte schlecht. Seit Juni gilt eine neue Förderrichtlinie. Die Eigenanteile für die Selbsthelfer wurden hochgeschraubt und sind allein durch Arbeit nicht mehr zu leisten, wie selbst die Bauverwaltung zugibt. Die verminderte Förderung wird zudem nur noch zur Hälfte als Zuschuß gewährt. Kredite für den Rest erhöhen nicht nur die Mieten nach Sanierung erhöhen. „Finanzschwache Projekte können die Kredite gar nicht absichern und werden daher gar keine Förderung bekommen“, kritisiert Elisabeth Würschum vom Arbeitskreis der Selbsthilfesanierer (AKS). Sie befürchtet, daß die Kastanienallee 77 eines der letzten Projekte sein wird. Die Investitionsbank Berlin, die nun für die Mittelvergabe zuständig ist, hat jedenfalls dieses Jahr noch keinen Fördervertrag unterzeichnet. „Selbstverwaltete Mietshäuser sollten Grundlage jeder Wohnungspolitik sein“, meint Würschum. Die Möglichkeit dazu habe der Bausenat jedoch „im Haushaltsloch versenkt“. Gereon Asmuth