: Brot für heute, Hunger für morgen
Nur ein Industriezweig boomt auf Menorca: die Tourismusindustrie. Vermarktet wird die spanische Insel als Biosphärenreservat. Doch inzwischen wachsen nicht nur die Müllberge ■ Von Gitti Müller
Ihre kleine Insel im Mittelmeer kann gut mithalten im internationalen Tourismusgeschäft. Aber so richtig gewollt hat den Tourismus eigentlich niemand auf Menorca. Wozu auch: bis vor wenigen Jahren lebten sie von der Fischerei, von Landwirtschaft, von Milch- und Käseproduktion und von einer gut florierenden Schuhindustrie. Sie verfügten über einen vergleichsweise hohen Lebensstandard, und kaum ein Menorquiner war für eine Beschäftigung im Hotel- und Gaststättengewerbe zu gewinnen. Auch heute kommen die meisten Kellnern und Hotelangestellten aus Andalusien, aus Galicien und Katalanien. Doch die Zeiten ändern sich.
Die EU-Agrarpolitik und Wirtschaftsglobalisierung haben auch auf Menorca ihre Spuren hinterlassen. Gab es allein in Ciutadella, der kleinen Hafenstadt an der Westküste Menorcas, vor 15 Jahren 130 klein- und mittelständische Schuhfabrikanten, sind es heute noch knapp ein Dutzend.
Nur ein Industriezweig boomt auf Menorca: die Tourismusindustrie. Unberührte Landschaften und bäuerliche Idylle, endlose Terrassenfelder, gesäumt von den inseltypischen Steinmäuerchen, und fjordähnliche Badebuchten mit kristallklarem und türkisfarbenem Wasser. Mit solchen Bildern werben die Prospekte der Reiseveranstalter, und nirgendwo fehlt der Hinweis auf den Unesco-Titel „Biosphärenreservat“, den Menorca vor drei Jahren dank seiner noch intakten Natur und seiner Artenvielfalt erhielt. Natur verkauft sich gut, vor allem in den Industrieländern. So kamen 1995 über eine Million Urlauber, vorwiegend aus Deutschland und Großbritannien.
Menorca rüstet auf. Schon jetzt gibt es mehr Hotelbetten als Inselbewohner. Aber damit nicht genug: Weitere 100.000 Übernachtungsplätze sollen geschaffen werden, viele Anlagen befinden sich schon im Bau. Der geplante Ausbau des Flughafens in Mahón soll Kapazitäten für die Abwicklung von vier Millionen Urlaubern pro Jahr sichern, und mit dem Ausbau des Straßennetzes soll bereits 1997 begonnen werden.
Noch geht es gemütlich zu auf der Insel. Die einzige Schnellstraße führt von Mahón im Osten nach Ciutadella im Westen, einmal quer über die Insel. Ansonsten gilt es, die Insel auf kleinen, holprigen Straßen zu erforschen. Viele Touristen ziehen hierfür das Fahrrad vor: auf Nebenstrecken, gesäumt von Blumen, Bäumen und Steinmäuerchen geht es vorbei an Feldern und Gehöften, durch Pinienwälder und kleine Ansiedlungen. Viele dieser Strecken sollen nun verbreitert und begradigt werden. Begründung bei den Behörden: erhöhte Unfallgefahr auf den schmalen, unübersichtlichen Sträßchen. Dabei beweist die Statistik das Gegenteil. Gab es doch in den letzten drei Jahren über 120 Verkehrsunfälle auf der gut ausgebauten Schnellstraße Mahón–Ciutadella. Meist wegen überhöhter Geschwindigkeit. Zum Vergleich die vielbefahrene Nebenstrecke Mahón–Fornells: ganze zehn Unfälle in drei Jahren. Zwar hat die Umweltorganisation GOB in Mahón ein detailliertes Konzept für den Erhalt der landestypischen Straßen und deren Ausbau in Hinblick auf ein inseldeckendes Netz von sogenannten „Landschaftsstraßen“ erarbeitet, doch bislang hält die Bezirksregierung an ihren Plänen fest.
„Ökotourismus statt Massentourismus“ fordert die GOB schon seit Jahren. „Was hier mit unserer Insel geschieht“, sagt Miguel Camps von der Umweltorganisation, „ist der totale Ausverkauf, ohne Berücksichtigung der ökologischen Folgen. Es ist Brot für heute und Hunger für morgen.“ Unermüdlich arbeiten die GOB- Leute, um die unkontrollierte Entwicklung des Tourismus zu bremsen. Zahlreiche Baustopps, zum Beispiel der des geplanten Hafenausbaus von Mahón, gehen auf ihr Konto. Sie entwickeln Alternativkonzepte für die Wiederaufbereitung von Trinkwasser und für die Müllentsorgung. Denn was für den Urlauber zu Hause selbstverständlich sein mag, auf der Biosphäreninsel Menorca ist sie Neuland: die Mülltrennung. Erstmals wird in diesem Jahr auf Drängen der Umweltorganisation ein Pilotprojekt gestartet: In einem Stadtteil von Mahón sollen Container für Mülltrennung aufgestellt werden.
Doch der Tourismus hat nicht nur den Müllberg wachsen lassen, auch der Wasserverbrauch der Insel ist um ein Vielfaches gestiegen. Nirgendwo wird so viel gebadet, geduscht, geputzt und gewaschen wie in den Hotels und Ferienanlagen. Über 280 Liter pro Tag verbraucht jeder einzelne Gast. Viele Hoteliers appellieren an das Umweltbewußtsein der Urlauber durch freundliche Hinweise in den Badezimmern. Doch das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Ob im Swimmingpool oder in den tropisch anmutenden Gärten der Anlagen, überall wird Trinkwasser verwendet. Trinkwasser, das zudem nicht wieder aufbereitet werden kann, denn die Kläranlagen der Munizipien schaffen aufgrund ihrer technischen Ausstattung nur eine Grobreinigung, bevor sie die Abwässer wieder ins Meer entlassen. Um so notwendiger scheint es, wassersparende Maßnahmen zu ergreifen, denn das kostbare Naß wird knapp. So könnte man bei der Begrünung von Ferienanlagen auf einheimische Pflanzen zurückgreifen, schlägt GOB vor, und die Hotels müßten mit mengenregulierenden Vorrichtungen an Wasserhähnen und Toilettenspülung ausgestattet werden.
Von der Ernennung zum Biosphärenreservat hatte sich die GOB viel versprochen. Doch sie sind enttäuscht. Fast drei Jahre später ist noch kein Gremium, kein öffentliches Organ für die Erhaltung und Verwaltung des Reservats eingerichtet worden. „Es wird absolut nichts getan“, sagt Miguel Camps bitter, „und was die EU- Gelder angeht, die wir erhalten, um unsere Umwelt zu schützen, das ist in unseren Augen ein Riesenbetrug: Sie werden zur Finanzierung von Baufirmen und für die großen öffentlichen Bauinvestitionen zum Schaden unserer Umwelt verwendet.“
Die Leute der GOB wollen Öffentlichkeit herstellen. Im Büro der Umweltorganisation hängt das Foto eines Vogels, des Milano Real, eine Adlerart und fast ein Wahrzeichen der Insel. Vor 15 Jahren zogen noch 130 Paare ihre Kreise über der Insel. 1995 waren es gerade noch zehn Paare. Für sie ist es vielleicht schon zu spät.
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