: Angeln in den Ardennen
Den Belgier Jean-Marc Bosman kann man knapp ein Jahr nach dem berühmten Urteil, das seinen Namen trägt, kaum einen Gewinner nennen ■ Aus Lüttich Falk Madeja
„Ich bin der große Gewinner“, sagt Jean-Marc Bosman ohne eine Spur Sarkasmus, „aber finanziell bin ich am Boden.“ Tatsächlich hat er noch keinen Franc Entschädigung gesehen und muß deshalb neuerlich gegen UEFA und den Belgischen Fußballbund in Lüttich klagen. Nicht nur das. Fast ein Jahr nach dem berühmten und nach ihm benannten Urteil des Europäischen Gerichtshofs wohnt der 32jährige allein in der Garage seiner Eltern. Seine Frau Cecile hat ihn verlassen. Seit Mai ist er von ihr geschieden, und häßliche Alkoholprobleme werden ihm nachgesagt. Mit dem Fußball hat er endgültig aufgehört. „Das ging nicht mehr. Ich war ja doch andauernd beim Gericht, und leben konnte ich von dem, was ich bei Vise [vierte Spielklasse, d. Red.] bekam, sowieso nicht.“
Jean-Marc Bosman sitzt im Wohnzimmer seiner Eltern auf der Couch und nippt am Kaffee. Sein Gesicht ist leicht rund, aber nicht runder als zur aktiven Zeit. Die Haare sind noch immer kurz und die Koteletten halb- bis ziemlich lang. Er stammt aus einer einfachen Lütticher Familie. Der Vater war einst Bergarbeiter und dann Taxiunternehmer, die Mutter wurde im Krieg als Zwangsarbeiterin nach Deutschland verschleppt, und später war sie Putzfrau an der Universität.
„Das mit dem Alkohol ist Unsinn“, sagt Jean-Marc. „Und ganz allein bin ich auch nicht mehr. Ich habe wieder eine Freundin und baue ein Haus.“ An der Wand hängt eine aus Dänemark stammende Karikatur, auf dem ein junger Mann in Fußballkleidung an zwei Blöcken mit den Aufschriften UEFA und FIFA hängende Ketten sprengt. Auf einem hölzernen Andenkentäfelchen steht auf deutsch „Fußball macht Spaß“. Statt Fußball steht bei Jean-Marc heute anderes auf dem Programm: Manchmal geht er in den Ardennen angeln, oder er joggt im leicht bergigen Lüttich. Er wartet. Auf das Geld und auf die letzten 90 Fußballminuten seines Lebens: „Ich hoffe auf das Benefiz-Spiel. Es wird irgendwann kommen, und dann will ich bereit sein.“
Ursprünglich sollte das Benefiz- Match im Frühjahr stattfinden. Eine Reihe von Stars hatten ihre Zusage gegeben: Gullit, Cantona, Maldini, die Brüder Laudrup, sogar Maradona. Das in Malaga geplante Spiel fiel aber ins Wasser – zunächst weil Jean-Marc lieber in Paris spielen wollte. Monate vergingen, ganz Fußball-, aber auch Handball-, Basketball und Eishockey-Europa veränderte sich rasant. Mit Bosmans Benefiz-Spiel aber ging es nicht voran. Erst blockte – mit FIFA und UEFA im Nacken – der französische Fußballverband. Ein Wink mit dem juristischen Zaunpfahl brachte die französischen Funktionäre zum Einlenken. Trotzdem hat Bosmans Spiel der Spiele noch immer nicht stattgefunden. Die Fifpro, die Weltfußballergewerkschaft mit Sitz in Gouda, schlug den 8. Oktober vor. Doch da machte der französische Pay-TV-Sender Canal+, im Besitz der Übertragungsrechte, Terminschwierigkeiten geltend. Es ist zur Zeit völlig unklar, wann und ob überhaupt das Spiel stattfinden wird.
Im Dezember 1995 machte Bosman in Luxemburg vor dem Europäischen Gerichtshof Geschichte, als seine Klage das europäische Transfersystem aus den Angeln hob. Angefangen hatte alles so: Jean-Marc Bosman, einst Spieler in der belgischen Juniorenauswahl und bei Standard Lüttich, war beim armen und armseligen Stadtrivalen Club Lüttich gelandet. Der Vertrag lief aus, und Bosman wollte zum französischen Zweitligisten Dünkirchen. Plötzlich verlangte der Club eine Bankgarantie von den Franzosen. Jean-Marc war nicht ratlos, sondern rief Anwalt Jean-Louis Dupont, Jugendfreund seiner Frau, an. Dieser arbeitet im Anwaltskantor von Luc Misson, einem Spezialisten für Europarecht. Den Anwälten fiel auf, daß Grundsätzliches mit dem Fußballrecht nicht stimmte. „Ich wollte ein ganz persönliches Problem lösen. Dann kam eins zum anderen. Ich fühlte mich wie ein Fahrradfaher: „So lange du in die Pedale trittst, gewinnst du. Wenn du stoppst, dann fällst du auf das Gesicht. Aber wer in einem Europapokalfinale steht, der geht auch nicht drei Minuten vor Ende vom Feld.“
Die Richter gaben dem Fußballer recht und fällten das logische Urteil. Mit Konsequenzen: Überall in Europa brach das Transfersystem zusammen. Die Spieler jubelten, denn sie hatten jetzt nach Vertragsende nicht nur freie Arbeitsplatzwahl, sondern bessere Trümpfe für neue Verhandlungen in der Hand: Entweder ihr zahlt mehr, oder ich gehe. Inzwischen profitierten schon Spieler wie Gianluca Vialli, Ian Rush, Aron Winter, Paulo Futre oder Edgar Davids von der Möglichkeit, ablösefrei den Verein zu wechseln, die Spielergehälter in Europa stiegen seit dem „Bosman-Urteil“ um das Doppelte und Dreifache.
Bosmans eigene Karriere ging, während die Klage lief, endgültig den Bach hinunter. „Erst spielte ich noch bei Saint-Quentin in Frankreich. Sechs Monate war ich dann auf der Insel La Réunion.“ In der Saison 1993/94 trug er das Trikot von Olympic Charleroi [3.Klasse] und dann nach einem halben Jahr Arbeitslosigkeit das von CS Vise.
Etwa 40 Millionen belgische Franc (etwa 2 Millionen Mark) hatten Fußballfunktionäre dem Belgier unter der Hand angeboten, wenn er seine Klage fallen ließe. Das ist erheblich mehr als die 23 Millionen (zirka 1,15 Millionen Mark), die er sich heute erhofft. Er blieb aber standhaft, zog die Sache durch und siegte. Das Geld hat er immer noch nicht. „Die Richter haben zwar Club Lüttich, den Belgischen Fußballbund und die UEFA zu Schadenersatz verurteilt“, erläutert Jean-Marc, „aber den Club gibt es nicht mehr, und die Verbände zahlen nicht.“ Auch die Versprechungen nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, als Fußballer anriefen und ihm Geldüberweisungen versprachen, wenn sie aufgrund seiner Initiative höhere Gehälter herausschlagen könnten, erwiesen sich als Schall und Rauch. Wieviel angekommen ist? Bosman lächelt: „Kein einziger Franc.“
Unverdrossen hofft er auf die Entschädigung von UEFA und Belgischem Verband. Dann kann er endgültig ein neues Leben anfangen, abseits vom Fußball. „Ich habe mit Freunden ein Restaurantprojekt geplant.“
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