: Mit der FamilyCard ins Zwischenlager
■ Niedersachsen will die Kosten für Castor-Transporte radikal senken: Künftig sollen sechs Behälter gleichzeitig auf die Schienen nach Gorleben. Gestern haben Atomkraftgegner acht Bahnstrecken mit Anschlägen lahmgelegt
Hannover (taz) – Eine wenig Zuckerbrot und dann die Drohung an Castor- Gegner und Gorleben-Freunde. Der nächste Transport von hochradioaktivem Müll ins Gorlebener Zwischenlager werde in diesem Jahr aller Voraussicht nach nicht mehr stattfinden, versicherte Niedersachsens Innenminister gestern. Dafür will Gerhard Glogowski (SPD) künftig gleich sechs Atommüllbehälter auf einmal ins Zwischenlager prügeln lassen. „Mehr als ein- oder höchstens zweimal im Jahr ist Niedersachsens Polizei nicht in der Lage, solche Großeinsätze wie in Gorleben zu bewältigen“, teilte das Innenministerium in Hannover gestern mit.
Die Sechser-Transporte würden erforderlich, weil der Transporteur, die Essener Gesellschaft für Nuklear-Service (GNS), eigentlich künftig monatlich Castor- Transporte plane. Glogowskis neue Willfährigkeit gegenüber der Atomindustrie überrascht nicht: Selbst im Landeskabinett hatte der Polizeiminister kürzlich zum Einlenken gemahnt. Immerhin glaubt Glogowski nicht mehr an den für November von der GNS angekündigten Transport von drei Castor-Behältern ins Zwischenlager. Eine Terminierung sei bisher nicht absehbar. Die nächsten Castor-Transporte nach Gorleben werden also frühestens nach dem Winter auf die Reise gehen.
Nicht nur Glogowskis neues Castor-Sixpack hat Protest bei Niedersachsen Grünen und den wendländischen AKW-Gegnern ausgelöst. Gegen den nächsten Transport brachten anonyme Castor-Gegner auch gestern wieder kleine Haken- Krallen zum Einsatz – mit großer Wirkung. Mit den 15 Zentimeter langen, in die Oberleitungen eingehängten Krallen verübten sie Anschläge auf fünf Bahnstrecken rund um Berlin und auf ICE-Strecken nahe Hannover, südlich von Göttingen und zwischen Mannheim und Stuttgart. Bei Hannover-Langenhagen und Göttingen waren die ICE-Strecken vom frühen morgen bis mittags in beide Richtungen unpassierbar. Erst danach war zumindest wieder eingleisiger Fahrbetrieb möglich.
Der Vorschlag Glogowskis, demnächst gleich sechs Castor-Behälter zugleich zu transportieren, ist nach Angaben des Innenministeriums bisher weder mit der Polizei der anderen Bundesländer noch mit dem Bundesgrenzschutz abgesprochen. Die Notwendigkeit, die Castor-Einsätze künftig rationeller zu gestalten, begründete das Innenministerium gestern mit den Überstunden, die die niedersächsische Polizei vor sich her schiebt. Allein durch den letzten Castor-Transport im Mai hätten sich bei den eingesetzten Beamten über 300.000 Überstunden angesammelt, die größtenteils noch nicht mit Freizeit abgegolten worden seien, sagte der Sprecher des Innenministeriums gestern. Um mehr Unterstützung für künftige Transporte habe man vergeblich bei anderen Bundesländern und beim BGS nachgesucht.
Glogowskis angekündigte Sixpack-Lösung steht im Widerspruch zu den jüngsten Äußerungen des PreussenElektra-Chefs Hans-Dieter Harig zum Gorlebener Zwischenlager. Die PreussenElektra habe kein Interesse daran, daß das Zwischenlager schnell gefüllt werde, hatte Harig vergangene Woche erklärt. Wie die anderen großen Energieversorger auch habe die PreussenElektra inzwischen mit Frankreich neue Verträge über die Abnahme abgebrannter Brennelemente abgeschlossen. Bei diesen Verträgen fungiert das Gorlebener Zwischenlager allerdings als Preisdrücker. Die Brennelemente sollen allerdings nur noch dann in Frankreich aufgearbeitet werden, wenn der Preis dafür unter dem der direkten Endlagerung mit Zwischenstation Gorleben liegt. Auch Harig will deswegen Gorleben aufnahmebereit halten. Jürgen Voges
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