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Pralle Frauenakte im Zyperngras Japanmistel

■ Das Gerhard Marcks Haus hat sich für die Aristide-Maillol-Ausstellung in einen Wintergarten verwandelt / Wandteppiche des jungen, Frauenakte des alten Meisters

Erst unter Bäumen, zwischen Blumen oder aber am Strand des Meeres entfalte eine Skulptur ihre lebendige Ausstrahlung. So empfand es der französische Bildhauer Aristide Maillol (1861–1944). Wenn schon nicht im Freien, dann wollte er seine Werke zumindest inmitten von Pflanzen präsentieren lassen.

Ein Wunsch, der jetzt im Bremer Gerhard Marcks Haus erfüllt wird. Maillols pralle Frauenakte werden hier seit dem 6. Oktober in einer großen Werkschau mitten zwischen Japanmistel, Johannisbrotbaum und blühenden Kamelien gezeigt. Dazu ein bißchen Zyperngras und Palmfarn, und das Mittelmeer-Ambiente rund um das Werk des Südfranzosen ist perfekt.

60 Plastiken von Maillol, der neben Vorgänger Auguste Rodin die französische Plastik revolutioniert hatte, sind in der Wanderausstellung zu sehen. Zudem reichlich Rötelzeichnungen, Gemälde, Buchillustrationen, schwungvoll bemalte Fayencen, ein vergoldeter Türklopfer sowie Bildteppiche aus Wolle, Seide, Leinen und Silberfäden von den verschiedensten europäischen Leihgebern. Denn der Sohn eines Tuchhändlers begann seine Karriere mit Gemälden und kunstgewerblichen Arbeiten. Erst mit etwa 40 Jahren wandte er sich der Bildhauerei zu. Die wiederum ist in Bremen – anders als bei den Vorgängersta-tionen in Berlin und Lausanne – eingebettet in frisches Grün.

Museumsleiterin Martina Rud-loff ist stolz auf die Verwandlung ihres Hauses in einen eleganten Wintergarten. Unter Mühen hatte sie den Gärtnereibetrieb im Dörfchen Schwarme südlich von Bremen ausfindig gemacht, der in großen Gewächshäusern Mediterranes für Büros und Messehallen züchtet und damit – leihweise und höchst belebend – Maillols Werke dekoriert.

Auch architektonisch paßt das Bildhauermuseum in der klassizistischen Torwache zur Antiken-Begeisterung des Bildhauers. 1908 war Maillol zusammen mit Mäzen Harry Graf Kessler und Dichter Hugo von Hofmannsthal nach Griechenland gereist. Seitdem sind seine Frauenbildnisse mit Namen wie „Méditerranée“ und „Frühling“ eine Mischung aus klassischer Antike und der fülligen Ehefrau Clotilde, die ihm Modell saß.

Meist sind Maillols Akte klein, kurzbeinig, ein wenig untersetzt – ein Umstand, der übrigens schon die Zeitgenossen erregte. Eine Künstlermuse im Paris der Jahrhundertwende kritisierte: „Maillol, ich liebe Ihre Plastik, aber ich verabscheue Ihre Frauen, Ihre dicken Frauen.“

Doch nicht nur das Volumen irritierte die konservativen Geister, sondern auch die von Mythologie befreiten Aktdarstellungen. In der Belle Epoque sei es in bürgerlichen Kreisen üblich gewesen, erinnert Arie Hartog, Kurator des Gerhard Marcks Hauses, sich „ziemlich grauenhafte neobarocke Feen und Faune“ auf den Kaminsims zu stellen. Mit solch schwülstigem Dekor hatte Maillol gebrochen. Die Stadtväter von Aix-en-Provence seien entgeistert gewesen, fügt Museumschefin Rudloff hinzu, als er für das dortige Cézanne-Denkmal einen liegenden Akt schuf.

Bei dieser großen Liegenden und all seinen anderen formstrengen Frauengestalten ging der Franzose auf Distanz zum älteren Bildhauerkollegen. „Rodin kreist um seine Statue herum“, schreibt Maillol, „und modelliert dabei Profile: das ist beinahe wie Zeichnen. Ich dagegen konzentriere mich ausschließlich auf die Form.“ Rodins impressionistisches Spiel mit Licht und Schatten auf einer bewegten Oberfläche, das zeigen seine Arbeiten, lehnte er ab. Ebenso, daß dessen Figuren nur soweit aus dem Block herausgearbeitet wurden, bis das Wesentliche bloßgelegt war. Maillol blieb bei klaren Umrissen, fester Körperlichkeit, glatter Oberfläche.

Positiv am Ausstellungskonzept: Das Marcks-Haus geht durchaus kritisch mit dem Meister ins Gericht, der schon früh seinen Stil gefunden hatte und zeitlebens kaum noch änderte. Das meiste, was Maillol erfunden habe, stamme aus den Jahren von 1900 bis 1910, sagt Hartog: „Danach wurde fleißig kopiert.“

Einige solcher Eigenzitate werden angeführt. Im Mittelsaal stehen die unterlebensgroßen „Badenden“, „Eva mit Apfel“ und „Leda“ kokett und abrufbereit nebeneinander. Der Nachbarraum belegt: Jahrzehnte später hat sie Maillol in einen größeren Maßstab übertragen und als „Venus“ und „Ile de France“ ausgegeben. Doch egal, ob Kopie oder Kopie der Kopie. Allesamt waren Maillols ruhige Frauengestalten so einflußreich, daß sie deutsche Bildhauer wie Bernhard Hoetger, Georg Kolbe, Wilhelm Lehmbruck und nicht zuletzt auch Gerhard Marcks in Atem gehalten haben. Sabine Komm

Bis 12. Januar. Der Katalog kostet 49 DM. Parallel zur Ausstellung haben Promis der Gegenwartskunst wie Markus Lüpertz, Jana Grzimek und Waldemar Otto als Hommage an Maillol Köpfe, Torsi und Tuschezeichnungen gefertigt – die sind käuflich.

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