: Wirkliche Wirklichkeit
■ Brandenburgische Verteilungskämpfe und der Neuanfang am Potsdamer Hans-Otto-Theater
Potsdam, die Schöne. Und hartes Pflaster. Nicht allein preußische Vereinigungsträume haben es hier schwer. Die Stadt gefällt sich in Verweigerung. Im Spiegel hat Matthias Matussek den Potsdamern jüngst ihre zur Hochblüte entwickelte Lust an der Niedergeschlagenheit attestiert. Obwohl es den Insassen der Schlösser- und Seenstadt objektiv so gut geht wie seit 50 Jahren nicht mehr, grassiere der Mißmut im Speckgürtel Berlins.
Schwer hat's auch das Theater. In der Blechbüchsen-Diaspora am Alten Markt konnte in den letzten Jahren so recht kein Schauspiel reüssieren. Die Ausnahme: Steffen Menschings Theater-Adaption von Ettore Scolas Film „Das Ballhaus“, bei der das Publikum zur Premiere schier aus dem Häuschen geriet. Kein Wunder, verklärt doch die getanzte Geschichts-Revue mit ihrem liebevollen Blick auf die „lächerlichen Haltungen von Menschen in der DDR“ (Theater der Zeit) die heroische Vergangenheit zu einer gemütvoll-harmlosen Vergangenheit.
Die wirkliche Wirklichkeit in Potsdam ist weniger harmlos. Das haben jetzt auch Rolf-Günter Krolkiewicz, im April als Schauspieldirektor ans Hans-Otto-Theater gekommen, und sein neuformiertes Ensemble zu spüren bekommen. Mit seiner Antrittsinszenierung von Shakespeares romantischer Komödie „Wie es Euch gefällt“ lief Krolkiewicz ins offene Messer, das die Märkische Allgemeine Zeitung für ihn bereithielt. „Seichtes Weltanschauungstheater (...) hätte es bleiben- oder einem Besseren überlassen sollen (...)“ nölte der Rezensent des preußischen FAZ-Ablegers.
Wenn den Esel der Hafer sticht, begibt er sich in die Politik. Denn das Hans-Otto-Theater steckt mitten in den von Kultusminister Steffen Reiche im Frühsommer verordneten Fusionsverhandlungen mit dem Brandenburger Theater. Und so fühlte sich der Rezensent bemüßigt, alle Zweifel auszuräumen, auf welcher Seite im sich anbahnenden Verteilungskampf die führende Zeitung im Märkischen Sand ihre Feder schwingt: „Die Brandenburger hätten schließlich ein halbwegs intaktes Schauspiel zu verlieren, Potsdam: nichts.“ Allein, das Kalkül der Stimmungsmacher geht nicht auf. Von den harschen Tönen aufgeschreckt, erscheint das Publikum ungewohnt zahlreich, das vorgebliche Desaster in Augenschein zu nehmen.
Romantik findet nicht statt auf der Bühne im unwirtlichen Saal. Dafür gerät Shakespeare ins Heute. Alexander Wolf, ein Ruth- Berghaus- und Volker-Pfüller- Schüler, verordnet moderne Kostüme. Die Herren der Welt im Anzug der vierziger bis achtziger Jahre. Mit Gegentypen. Orlando: ein Punk. Rosalind im mädchenhaften Hängekleid, gestiefelt. Als Ganymed: ein Geck im Schwalbenschwanz, Krawatte, Weste, Batschkappe. Jacques: ein Sträfling. Probstein, der Narr: ein clownseker Nowhereman. Der Ort: ein leerer Kasten, hölzern und gelb, mit schräg ansteigender Spielfläche und dürr abstrakten Beckett-Bäumen im Hintergrund. Delikates Querlicht aus seitlichen Mittelauftritten verstärkt im Verein mit dem lastenden Plafond das hauseigene Breitwandformat. Leider. Denn der übergroße Abstand zwischen Bühne und Zuschauern bedürfte der Überbrückung.
Regisseur Krolkiewicz gibt ein nüchternes Bild der Macht. Die Gesellschaft um den verjagten Herzog (Eckhard Becker) im Märchenwald zeichnet er als genauso verderbt wie die am Hof des aasigen Fürstenbruders Frederick (Torsten Bauer). Hunger hält man für schlechtes Benehmen. Höhnisch feixend wie Kolonialoffiziere auf Urlaub, besieht die exilierte Herrengarde (Peter Pauli, Hans- Jochen Röhrig) im Wald die Gier, mit der der verirrte Orlando (Robert Kuchenbuch) sich auf das herzogliche Picknick stürzt. Politische Abweichung ist schlechter Stil. Mit Knüffen und Stößen verjagen sie den melancholischen Tierfreund Jacques (Christian Kuchenbuch), wenn der ein Spottlied auf den Herrn anstimmt.
Allein, das Zentrum der Inszenierung bleibt unterbelichtet. Die Logik der Lesart Krolkiewicz' hätte die Betonung der schockhaften Liebe zwischen Orlando und Rosalind (Romy Gehrke) erfordert, als, wenn auch in Frage stehendes, Gegenbild zum patriarchalischen Machtgerangel der Väter. Davon war wenig zu sehen. Die angestrebte Leichtigkeit gelang am besten an den Rändern. Komisch und wahr: Günter Rüger als alter Dienstsklave Adam. Witzig, die autochthone Pastoral-Brigade – allen voran der einem Deix-Cartoon entstiegene Bauerntölpel William (Steffen Schreier) – von Wolf in überdimensionierte Strickstrümpfe eingenäht, oberammergauhaft mit Walle-Walle-Haar und Bart verziert und ausgestopftes Wollgetier herumschleppend.
Starkes Spiel hingegen in Alexander Hawemanns Inszenierung des Turrini-Klassikers „Rattenjagd“. Zwischen haufenweise herumliegenden Müllsäcken auf der zur Nebenspielstätte umfunktionierten Probebühne in der Zimmerstraße begeben sich Sie (Diana Dengler) und Er (Falilou Seck) auf die Suche nach ihrem wirklichen Selbst. Ein physisch-psychischer Striptease in Wort und Tat. Unter der Oberfläche von Hast, Gewalt, Gefallsucht und Kaltschnäuzigkeit birgt sich Scham und kindliche Verletzlichkeit. Trotz gestrichenem Mord am Schluß: kein Happy- End. Statt dessen ein letzter Stich ins Herz. Wenn es schließlich zum Liebesakt kommt, vollziehen ihn beide mit abgewandtem Gesicht. Wieder bekleidet, fast heimlich, rasch – an der schwarzen Brandmauer des Theaters.
„Die Punkte machen wir zur Zeit in den Nebenspielstätten“, konstatiert Rolf-Günter Krolkiewicz. Wohl wahr. Mehr als der leicht unterkühlte Shakespeare, bei dem das Ensemble zudem sichtbar unter Erfolgsdruck leidet, zeigt Hawemanns Arbeit, wieviel Spielwitz und Kraft im Potsdamer Ensemble steckt. Als nächstes gilt es, die gegenstrebigen Publikumsgruppen an das Haus zu binden. „Ich habe den Eindruck, wenn man eine Klientel ins Haus holt, vergrault man eine andere“, sagt Krolkiewicz. Also bietet das Hans- Otto-Theater einstweilen jedem das Seine. „Das Ballhaus“ und eine DDR-Schlagerrevue als Werbebillett an die Ostalgiker. Den „Raub der Sabinerinnen“ fürs kollektive Schenkelklopfen an Weihnachten.
Potsdam wird es schwer haben mit seinem Theater. Unter dem harten Pflaster: der Strand. Mag sein, daß die Spielwut der „Ottoianer“ der Stadt die Lust am Mißmut verhagelt. Nikolaus Merck
Programm Hans-Otto-Theater unter Tel.: (0331) 981 10
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