Der große Knall kommt noch

■ Grauer Kapitalmarkt: Bald zeigt sich, welcher Sparer sein Kapital verloren hat. Vorsicht bei Begriffen wie "Erwerbermodell", "Bankgarantie" und "Euro-Anlage"

Lange Zeit waren es nur die gutbetuchten Zahnärzte, die ihr sauer verdientes Geld dubiosen Anlagefirmen anvertrauten in der Hoffnung, manches Zinsschnäppchen zu machen – und dazu noch vorbei am deutschen Finanzminister. Doch nicht selten war nach ein paar Monaten auch das ganze Kapital weg. Allzu leichtfertig wurden – oft schon aufgrund einer einzigen telefonischen Akquisition – einem völlig unbekannten Verkäufer Zehntausende von Mark für Termingeschäfte mit australischen Schweinehälften überwiesen oder in südamerikanische Nickelminen investiert.

Dieser klassische „Graue Kapitalmarkt“ funktioniert seit langem recht gut. In der einen Variante erweist sich nach ein paar Monaten die Prognose über die phantastischen Gewinne leider als falsch. In der anderen wird das Eingezahlte von vornherein nirgendwo investiert, sondern teils als „Traumrendite“ an die Vor-Investoren ausgezahlt – die mitunter vor lauter Begeisterung gleich noch mehr investierten –, teils auch gleich und auf komplizierten Überweisungspfaden in sichere Drittländer geschafft, wo die Drahtzieher es in Ruhe verjubeln können.

Strafrechtliche Folgen müssen die Initiatoren kaum befürchten. Die Geschädigten, denen dann zumeist Schwarzgeld abhanden gekommen ist, werden kaum beim Staatsanwalt Anzeige erstatten. Zivilrechtliche Ansprüche auf Rückzahlung bestehen wohl in der Regel, doch selten gibt es einen schriftlichen Vertrag oder gar eine Anschrift, unter der die Anlageverkäufer eine gerichtliche Vorladung auch erreicht.

Doch Mitleid mit den solcherart Betuppten hatte eigentlich niemand so recht. Das änderte sich erst mit dem 5. Vermögensbildungsgesetz. Damit gelang es, den Grauen Kapitalmarkt so richtig in Schwung zu bringen und auch für Otto Normalsparer zu öffnen. Das Vermögensbildungsgesetz, im Volksmund 936-Mark-Gesetz genannt, sollte nach der Idee des Gesetzgebers dazu beitragen, auch Kleinsparern zu einem, wenn auch bescheidenen Vermögen zu verhelfen. Leider wurde es zum Wegbereiter für den Grauen Kapitalmarkt auf breiter Basis.

Wer monatlich bis zu 78 Mark sparte und das Geld sieben Jahre lang nicht antastete, wurde vom Staat belohnt, der dann ein paar Mark Sparzulage draufpackte. Oft gab der Arbeitgeber auch noch ein Scherflein – die Zeiten waren damals eben andere.

Auch Kleinsparer sollten etwas vermögend werden

Die Abwicklung dieser subventionierten Massenkleinsparerei übernahmen die klassischen Geldsammelstellen: Banken, Sparkassen, Lebensversicherer und Bausparkassen. Und wer aufpaßte, daß die Eckdaten des Rahmensparvertrages zur Sparrate paßten, machte sogar ein ganz gutes Geschäft. Doch insoweit sind wir noch fast im „Weißen Kapitalmarkt“, denn weder eine Bank noch ein Versicherer verschwindet plötzlich auf die Bahamas.

Mit einer Gesetzesänderung von 1987 wurde der Kreis der privilegierten Geldeinsammler verändert ebenso wie die Bezuschussung. Ab 1989 wurde nur noch die Kapitalbeteiligung an Unternehmen mit einer 20prozentigen Sparprämie gefördert. Beim Bausparen wurde der Prämiensatz auf 10 Prozent reduziert, die der anderen Sparformen ganz gestrichen. Man erhoffte sich eine Finanzspritze für die Unternehmen – und vielleicht ein noch innigeres Verhältnis des Arbeitnehmers zu seinem Arbeitgeber, sozusagen die Verschmelzung von Spargroschen mit dem Kapital. Doch leider vergaß der Gesetzgeber, den Kreis der Unternehmen auf diejenigen zu begrenzen, die wirklich etwas erwirtschafteten: Jeder, der eine bestimmte Rechtsform vorweisen konnte, bekam den Berechtigungsausweis zum Geldeinsammeln.

Die Folge: Dutzendweise wurden Firmen gegründet, die nie die Absicht hatten, das Bruttosozialprodukt zu stärken. Sie heuerten lediglich Drücker und Telefonverkäufer an, fielen in Scharen über unbedarfte Kleinsparer her und drehten ihnen mit abenteuerlichen Renditeversprechen Beteiligungsverträge an. Nicht selten wurden auf Veranlassung der Werber sogar bestehende Verträge verlustreich gekündigt.

Das eingesammelte Kapital unterlag keinerlei staatlicher Aufsicht, und die Firmen produzierten vor allem Kosten, vorzugsweise Gehälter oder Abfindungen. All das eingesammelte Geld, Monat für Monat tausendfach 78 Mark, landet auf privaten Konten. Nur: Zunächst merkte das niemand.

Denn bevor die sieben Jahre nicht vergangen sind, bekommt der Sparer sein Kapital ja gar nicht zurück. Ihm fällt daher gar nicht ein, vorher nach dem Verbleib seines Geldes zu fragen. Dieser Umstand macht das „Kleinviehgeschäft“ so interessant für den grauschwarzen Kapitalmarkt. Denn wer investierende Gutverdiener eine Weile bei der Stange halten will, hat nicht viel Zeit. Schneeballsysteme kippen nach ein bis zwei Jahren und funktionieren also nur mit größeren Summen. Doch wer sieben Jahre bis zur Rückzahlung Zeit hat, kann sich zurücklegen und das Kleinvieh einen großen Misthaufen machen lassen.

Manchmal schöpft ein Kleinsparer Verdacht, ein Anwalt durchschaut die Strukturen, ein Staatsanwalt erkennt die volkswirtschaftliche Brisanz und ermittelt. So geschehen beispielsweise in den Fällen der Hamburger Firma I.M.F.O. (geschätzte Schadenssumme: 100 Millionen Mark), der Firma Plus Conzept mit Sitz in Hannover (300 Millionen), der Firma Ambros (610 Millionen) sowie des European Kings Club (eine Milliarde Mark Schaden).

Gelegentlich wird eine wirtschaftliche Betätigung vorgespiegelt und tatsächlich die eine oder andere Mark investiert – gern werbewirksam in ökologische Projekte oder in den Aufbau Ost.

Vom Kündigungsrecht wußte kaum jemand

Nach einigen spektakulären Zusammenbrüchen und wachsender Kritik von Verbraucherverbänden sowie der Forderung nach staatlicher Aufsicht über das eingesammelte Geld reagierte der Gesetzgeber mit einer halbherzigen Gesetzesänderung: Bis zum 30. September 1994 konnten mit Wirkung zum Ende desselben Jahres solche dubiosen Verträge gekündigt werden.

Die Förderung wurde mit Beginn des Jahres 1995 gestrichen. Allerdings wurde vom Kündigungsrecht kaum Gebrauch gemacht, weil die Information nicht bis zu allen Sparern durchdrang. Daß die Verträge durch den Wegfall der Förderung für sie ungünstiger wurden, bemerkten die Arbeitnehmer frühestens im darauffolgenden Januar – dann aber war die Kündigungsfrist abgelaufen. Wer tatsächlich vorher kündigte, wurde mit Drohungen und falschen Auskünften dazu gedrängt, die Kündigung zurückzunehmen

So steht der große Knall noch bevor. Peu à peu laufen jetzt die ersten Verträge aus, die ab 1989 geschlossen wurden. Demnächst wird sich erweisen, wer bei einer ordentlichen und wer bei einer betrügerischen Firma gelandet ist, wie viele ersparte Groschen und wieviel staatliche Zuschüsse in die Taschen privater Bürger geflossen sind.

Woran kann man nun betrügerische Firmen erkennen, und wie vermeidet man, auf ihre Versprechungen hereinzufallen? Wichtiges Negativmerkmal: die Vertriebsform. Bei einem telefonischen Erstkontakt oder einem Hausbesuch spricht viel für die Unseriosität – und alles für hohe Abschlußkosten, die den Ertrag schmälern. Lassen Sie sich auf keinen Fall unter Zeitdruck setzen. Vorsicht auch bei übertrieben hohen Renditeversprechen. Für sichere Anlagen mit 6 oder 7 Jahren Laufzeit gibt es zur Zeit knapp 6 Prozent Rendite. Je höher der in Aussicht gestellte Ertrag darüber liegt, desto spekulativer oder betrügerischer ist der Deal.

Woran erkennt man betrügerische Firmen?

Ein sicheres Indiz für eine wirtschaftlich nachteilige Anlage ist es, wenn mehrere Verträge zu unterzeichnen sind. Das sind meist kostentreibende Kombinationen undurchsichtiger Konstruktionen, die den Sparer hindern sollen, nachzufragen. Er will ja schließlich nicht dumm dastehen und zugeben, daß er das alles nicht versteht.

Lesen Sie das „Kleingedruckte“ hinsichtlich Kosten und Risikohinweise genau durch. Prüfen Sie, wofür Ihr Geld verwendet wird. Unternehmensbeteiligungen sind niemals eine sichere Geldanlage. Die Rendite hängt immer vom Geschäftserfolg ab. Klären Sie, ob Sie ohne große Verluste oder zusätzliche Kosten vorzeitig aus dem Vertrag aussteigen können.

Vorsicht auch bei so unklaren Begriffen wie „Erwerbermodellen“, „Bankgarantie“ oder „Euro- Anlage“. Die Berliner Verbraucherzentrale veröffentlicht demnächst die Überarbeitung einer „Schwarzen Liste“ und nennt Firmennamen. Einziger Nachteil: Die Liste kann niemals vollständig sein, denn ständig werden neue Firmen gegründet. Überdies haben manche Firmen gegen die Nennung ihres Namens auf dieser Liste geklagt. Selbst wenn sie die Verfahren letztlich verlieren, können sie damit eine Veröffentlichung noch jahrelang gerichtlich behindern. Wer bereits hereingefallen ist, seit Jahren zahlt und jetzt wissen möchte, ob er die Zahlung einstellen soll und wie man an das Geld herankommt, benötigt dringend Rechtsrat (geben auch Verbraucherzentralen). In einigen Fällen gibt es bei den Verträgen Formfehler wie zum Beispiel eine unzureichende Widerrufsbelehrung, die zur Aufhebung des Vertrags und zur Rückabwicklung berechtigen. Edda Castelló

Die Autorin ist Leiterin der Rechtsberatung bei der Verbraucherzentrale Hamburg, Kirchenallee 22, 20099 Hamburg, Tel. 040-248320