Nichts Neues zu Vater und Sohn

■ Uraufführung "Liebster Vater" im Bremer Concordia

Uraufführung „Liebster Vater“ im Bremer Concordia

Zunächst einmal: die Uraufführung von Stanley Waldens „Liebster Vater“ war im Concordia-Theater ein Riesenerfolg. Franz Kafkas berühmter Brief an den Vater der seinen Adressaten nie erreichte, war die Grundlage für dieses Auftragswerk des Bremer Theaters. Der amerikanische Komponist Walden, hauptsächlich bekannt geworden durch das Verfassen von Musicals und Schauspielmusiken, entdeckte in dem Text Parallelen zu seiner eigenen jüdischen Biographie: „Ich empfinde die Geschichten der Väter als Metapher für all das Suchen der Söhne nach Identität“.

Väter und Söhne – dies nun ist ein allgemeines, zeitloses Thema, immer wieder künstlerisch und wissenschaftlich präsent. Damit ist das Problem dieser Produktion schon genannt: es wird zwar eine hinlänglich unterhaltsame Psychosituation aufgerollt, aber viel mehr auch nicht. Rein dramaturgisch geht Walden mit dem Briefmaterial so vor, daß er ausgewählte Teile Franz sprechen läßt, der ein Schauspieler ist. Den Text des Vaters - der Sänger ist - für die große Auseinandersetzung nimmt er aus wörtlichen und indirekten Zitaten des Briefes, ebenso verfährt er für die Rollen der Schwestern. Es wird also eine richtige Szene daraus, die nicht unbedingt theatralisch, aber doch psychologisch dramatisch ist. Die Mutter läßt Walden tanzen, was ihrer stummen und ergebenen Angepaßtheit gut entspricht.

Zahlreiche Fakten von Väter-Sohn-Beziehungen sind bekannt, wie sich trotz aller Unterschiede die lebenslange Schädigung durch tyrannische Väter zeigt und sich das Bemühen um ihre Anerkennung traumatisch abspielt. Daß die Beziehung zum Vater für Kafka Motor für sein durch und durch avantgardistisches Schaffen war, darüber spricht Walden nicht. Will er wahrscheinlich auch nicht, weil sein eigenes Komponieren mit diesem Jahrhundert eher nichts zu tun hat.

Denn daß das alles so unterhaltend und damit beliebig bleibt, liegt vor allem an der Musik, die Walden nach eigener Einschätzung als „freitonal“ bezeichnet. In Wirklichkeit ist sie fast noch tonal, aufgemotzt mit immer denselben Dissonanzen. Dazu gibt es tänzerische Rhythmen und für den Sänger des Vaters eine spätromantische Deklamationspartie. Dazwischen viele wunderschöne Melodien besonders der Violine, von denen man überhaupt nicht versteht, warum die nun just da stehen müssen. Anderes wiederum macht Eindruck über gekonnte Effekte, die in der Art oberflächlicher Textuntermalung letztendlich tautologisch bleiben. Die sechzehn InstrumentalistInnen des Philharmonischen Orchesters boten unter der präzisen Leitung von Günter Neuhold mit Sicherheit das beste, was man daraus machen kann.

Auch die Inszenierung von Tilman Knabe ist ambitioniert und von ihren Voraussetzungen her zum Teil gelungen: alle Personen sind während des anderthalbstündigen Werkes andauernd auf der Bühne. Die Schwestern (Janet Collins, Daniela Sindram und Jolanta Major) bewegen sich puppenhaft stilisiert und markieren recht gut den gesellschaftlichen Standort des Emporkömmlings Hermann Kafka. Einfallsreich setzt Knabe die Insterdisziplinarität des Werkes um: der Vater (von eiskalter Präsenz Karsten Küsters) spielt sozusagen veristische Oper und behält mit der Musik immer eine Übermacht, gegen die der sprechende Franz (mit expressionistischer Heftigkeit René Dumont) nicht ankommt, nur einmal versucht er – kläglich – –zu singen. Im Tanz der Mutter ist ihre Ambivalenz stets deutlich: sie treibt Franz und streichelt ihn gleichzeitig - sehr gut Jacqueline Davenport. Auch der Bühnenbildner Alfred Peter und die Kostümbildnerin Brigitta Lohrer stützen entscheidend die szenische Konzeption Knabes. Zum Beispiel sitzt das Publikum mitten im Geschehen, desgleichen die MusikerInnen. Und Knabe arbeitet als Stilmittel hauptsächlich mit psychologischen Zeichen, die manchmal nervig simpel sind, manchmal gut und differenziert: wenn der Vater Franz durch den Raum schleudert, wenn Kafka häufig mit einer Vaterpuppe ihm Arm herumrennt und sein Kinddouble hinter sich herzieht, wenn er hilflos die Hose runterläßt und später falschherum wieder anzieht, wenn alle immer in riesigen Puschen herumrutschen müssen, damit in der Familie Kafka alles sauber bleibt. Aber retten kann Knabe das allzu naive Werk nicht, was eben alles andere als zeitgenössisches Musiktheater ist. Schade, daß das Bremer Theater sich nicht entschließen konnte, einmal grundsätzlich, zum zweiten aber auch im konkreten Ort Concordia, für den Aufwand eines Auftragswerkes etwas Experimentelles zu wagen.

Ute Schalz-Laurenze

Die nächsten Aufführungen: 17. und 20. 10.,20 Uhr.