: Für ABMler wird krank sein teuer
■ Sozialsenatorin Beate Hübner (CDU) will Sozialhilfeempfängern in ABM-Projekten nur noch 80 Prozent Krankengeld zahlen. Grüne: Umstrittenes Gesetz soll bei den Schwächsten durchgesetzt werden
Sozialsenatorin Beate Hübner (CDU) will die Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall durchsetzen – bei Sozialhilfeempfängern. Sie hat alle Träger des Programmes „Hilfe zur Arbeit“ anweisen lassen, ihren Beschäftigten den Lohn im Krankheitsfall um zwanzig Prozent zu kürzen. Davon wären in einer ersten Stufe dreitausend Menschen betroffen. ABMlerInnen verdienen derzeit neunzig Prozent des Tariflohns vergleichbarer Tätigkeiten. Nach Hübners Vorstoß würden ABMler im Krankheitsfall dann nur noch rund siebzig Prozent des Tarifgehalts bekommen. Wird zudem die vor wenigen Tagen von der CDU- Fraktion beschlossene Senkung des ABM-Entgelts auf achtzig Prozent des Tariflohns umgesetzt, sinkt das Krankengeld noch weiter.
„Hier wird ein höchst umstrittenes Gesetz bei den Schwächsten auf dem Arbeitsmarkt mit der Brechstange durchgesetzt“, kritisierten die bündnisgrünen Abgeordneten Bernd Köppl und Sibyll Klotz, die den Fall öffentlich machten. Sie mutmaßen einen bewußten Affront der CDU-Senatorin Hübner gegen ihre sozialdemokratische Senatskollegin Christine Bergmann. Bergmann solle, als Arbeitssenatorin für 16.000 BerlinerInnen in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zuständig, offenbar zum Handeln gezwungen werden.
Hübners Mitarbeiter hatten es eilig. Obwohl weder unter den Tarifparteien noch – wie sie selbst schreiben – innerhalb des Senats die Höhe der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall geklärt ist, wiesen sie Bezirke und Träger „vorsorglich auf die Auswirkungen“ des neuen Entgeltfortzahlungsgesetzes hin. Nach genauer Durchforstung der ABM-Tarifverträge – der Grundlage für das Entgelt in „Hilfe zur Arbeit“ – haben sie herausgefunden, wo sie den Hebel ansetzen können: Bei den Beschäftigten nach Paragraph 19 Sozialhilfegesetz. Diese sogenannte „Hilfe zur Arbeit“ behandelt die Sozialhilfe wie einen Lohnkostenzuschuß: Stützeempfänger kriegen die Staatsknete als Gegenleistung für Arbeit, um wieder in den Arbeitsprozeß integriert zu werden.
Das „ist moralisch nicht zu rechtfertigen“, kommentierte der Sprecher der Gewerkschaft ÖTV, Ernst-Otto Kock. Hübner könne den Zusatz „Sozial“ aus ihrem Senatorentitel getrost streichen. Die Bündnisgrüne Klotz klagt die Sozialsenatorin an, Auswirkungen im gesamten ABM-Bereich, bei Zuwendungsempfängern und freien Trägern zu provozieren. Mehrere zehntausend Menschen arbeiten in diesem tariflich wenig gesicherten Bereich. Die durch Bundesgesetz seit 1. Oktober gekürzte Lohnfortzahlung greift bislang nicht flächendeckend, weil Krankengeldregelungen gültiger Tarifverträge davon nicht berührt sind. In der Metall- und Elektroindustrie machten die Unternehmer inzwischen einen Rückzieher. Auch die ÖTV hat ihre Ablehnung klargemacht. Nur bei Banken und Versicherungen wird das neue Gesetz praktiziert. Christian Füller
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