Drogendealer auf den Topf gesetzt

■ Nach Hessen nun auch Berlin: Die Polizei darf Drogendealern vorerst keine Brechmittel mehr verabreichen. Justizssenatorin Peschel-Gutzeit (SPD) beendet damit eine jahrelange, umstrittene Praxis

Das Frankfurter „Brechmittel“- Urteil hat für Berlin weitreichende Folgen. Die Polizei darf Drogendealern keine Brechmittel mehr verabreichen. Das hat Justizsenatorin Lore Maria Peschel—Gutzeit (SPD) entschieden. Wie ihre Pressesprecherin Corinna Bischoff gestern auf Anfrage der taz mitteilte, wird die Senatorin die Staatsanwaltschaft in den nächsten Tagen bitten, der Polizei bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Benutzung solcher Mittel zu untersagen.

Das Brechmittel Ipecacuanha wird in Berlin seit 1994 eingesetzt. Nach Angaben der Polizeipressestelle bekamen bisher rund 150 Personen das Medikament verabreicht. Angewendet werde es nur unter ärztlicher Aufsicht, die Erfahrungen seien „durchweg positiv“. Von Nebenwirkungen war der Polizei nichts bekannt. Der Eingriff sei von Paragraph 81a der Strafprozeßordnung (StPO) gedeckt und erfolge nur bei einschlägig bekannten Straßendealern. Verabreicht werde das Mittel grundsätzlich nur dann, wenn die Zivilfahnder zuvor bei dem Verdächtigen „eindeutig“ eine zum Mund führende Hand- und danach eine Schluckbewegung gesehen hätten.

Die Brechmittel werden auch in Bremen und Nordrhein-Westfalen angewendet und sind bei kritischen Strafrechtlern höchst umstritten. In Bremen mußten das Medikament häufig Verdächtige mit schwarzer Hautfarbe schlucken. Die Betroffenen berichteten von Nebenwirkungen wie tagelanger Übelkeit und Erbrechen. Nachdem das Düsseldorfer Oberlandesgericht (OLG) das Mittel 1995 für zulässig hielt, kam das Frankfurter OLG vergangenen Freitag zum gegenteiligen Schluß. Der Einsatz von Brechreiz auslösenden Mitteln verstoße gegen die Menschenwürde, das Recht auf Unversehrheit und sei nicht durch die StPO gedeckt (die taz berichtete). Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit müsse jeweils das mildeste Mittel zur Beweissicherung angewendet werden, befand das Gericht. Die verschluckten Drogen könnten ohne weiteres „durch natürliche Ausscheidung“ gesichert werden.

Die von der Vereinigung der Berliner Strafverteidiger mit einem Gutachten beauftragte Professorin für Strafrecht, Edda Weßlau, kam schon vor geraumer Zeit zu derselben Ansicht wie das Frankfurter OLG. Anders Justizsenatorin Peschel-Gutzeit. Noch in diesem Sommer erklärte sie gegenüber der taz, sie habe keine grundsätzlichen Bedenken gegen das Brechmittel. Ihr Sinneswandel bedeutet, daß die Polizisten nun wie ihre hessischen Kollegen warten müssen, daß der Festgenommene die verschluckten Drogen mit dem Stuhlgang ausscheidet. Wenn dies nicht innerhalb der für eine Festnahme vorgeschriebenen Zeit geschieht, müssen sie den Verdächtigen im wahrsten Sinne des Wortes unverrichteter Dinge laufen lassen oder einem Haftrichter vorführen. Verstopfung war bislang jedoch kein Haftgrund. „Die Ermittlungsbehörden werden Wege finden, um an die verschluckten Drogen zu kommen“, befürchtet Professorin Weßlau neue Eingriffe in die Freiheitsrechte. Ein unbeobachteter Toilettengang sei fortan unmöglich. Die Polizeipressestelle gab sich gestern ausgesprochen wortkarg. Man werde sich mit der Staatsanwaltschaft über das weitere Verfahren abstimmen, hieß es. Plutonia Plarre