: „Unzulässig verengter Maßstab“
■ Bundesverwaltungsgericht: Zusammenhang zwischen AKW Krümmel und Leukämie-Fällen muß neu geprüft werden
Die Häufung von Blutkrebsfällen in der Nähe des Atommeilers Krümmel bei Geesthacht „ist nicht ausreichend rechtlich geprüft worden“. Zudem hätte die Genehmigung für neue Brennelemente nicht erteilt werden dürfen, ohne den möglichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Betrieb des AKW und den Leukämie-Erkrankungen in der Elbmarsch zu prüfen.
Dies sind die Kernaussagen in der jetzt vorliegenden schriftlichen Begründung eines Grundsatzurteils, das am 21. August vom Bundesverwaltungsgericht gefällt wurde (taz berichtete). Damals hatten die Berliner Richter eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Schleswig (OVG) über den Einbau neuer Brennstäbe im Atomkraftwerk Krümmel aufgehoben (BVerGE 11 C 9.95). Das OVG muß sich deshalb mit dem Fall erneut befassen.
Das Schleswiger Gericht hatte die Verwendung des 1991 eingebauten neuen Typs von Brennelementen gebilligt. Dagegen hatte die Vorsitzende des Bundes Umwelt und Naturschutz (BUND) in Niedersachsen, Renate Backhaus, die 20 Kilometer vom Reaktor entfernt lebt, erfolglos geklagt. Mit ihrer Anrufung des höchsten Verwaltungsgerichts hatte sie nun mehr Glück: Das OVG hätte, so das Berliner Urteil, die vorhandenen Betriebsgenehmigungen nicht ungeprüft als gültig betrachten dürfen.
Denn „bei wesentlichen Änderungen“ in Atomkraftwerken – und dazu gehöre die Verwendung neuer Brennstäbe – müßten die Sicherheitsanforderungen „nach heutigem Erkenntnisstand“ neu geprüft werden. Das Gericht in Schleswig habe, so die deutliche Rüge, „einen unzulässig verengten Maßstab zugrunde gelegt“. Ob die Klägerin „überhaupt in relevantem Umfange durch Radioaktivität... belastet ist, mag zweifelhaft sein, kann aber auch nicht von vornherein – ohne fachliche Prüfung – ausgeschlossen werden“, heißt es in der Urteilsbegründung.
Unter Experten ist die Ursache für die Leukämie-Erkrankungen rund um Krümmel weiterhin umstritten. Bisher sind acht Kinder und ein Jugendlicher an Blutkrebs erkrankt, drei von ihnen starben. Zwischen 1989 und 1993 wurde außerdem bei zehn Erwachsenen Blutkrebs festgestellt. Der BUND will heute in Hannover auf einer Pressekonferenz zur Urteilsbegründung Stellung nehmen. smv
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