: Lauter Häuptlinge
Allein gegen DuMont: Die Kölner „StadtRevue“ wird 20 Jahre alt und hat die Lust an der Selbstverwaltung noch immer nicht verloren ■ Von Philipp Maußhardt
Im Schatten des Kölner Doms haben sich im Laufe der Jahre immer wieder Charaktere entwickelt, die mit der Zeit zu wandelnden Wahrzeichen der Stadt wurden. „Die Nas“ beispielsweise (ein sehr charmanter Ganove), „Klaus der Geiger“ (auf jeder Unterschriftenliste der erste) oder „Klage-Hermann“ (lebt seit Jahren in seiner Hütte vor dem Dom). Eine Figur, die inzwischen ebenfalls zum Weichbild Kölns gehört, ist Walter Holschen. Walter steht bei Wind und Wetter am Eingang zur Fußgängerzone am Neumarkt und schreit sich die Lunge aus dem Leib. Auf einem Drahtgestell hat er die neueste Ausgabe des alternativen Stadtmagazins StadtRevue drapiert. Zur Zeit ist Walter heiser. Die Stimme versagt. Er hatte Grund, noch lauter als gewöhnlich für den Kauf des Magazins zu agitieren. Die ist in diesen Tagen zwanzig Jahre alt geworden – für ein selbstverwaltetes Projekt ein sensationell hohes Alter.
Im Belgischen Viertel hat die StadtRevue ein dreistöckiges Hinterhaus belegt. 23 Festangestellte sind hier der Chef. Alles Häuptlinge, keine Indianer. Daß bei dieser Organisationsform trotzdem ein Einheitslohn von 2.400 Mark netto jeden Monat herauskommt, widerspricht nicht nur der klassischen Betriebswirtschaftslehre, sondern macht auch noch Spaß. Und so weit hat sich das Kollektiv nach 20 Jahren auch schon entwickelt, daß es eine betriebliche Altersversorgung nicht unbedingt nur als eine Errungenschaft des deutschen Spießbürgervereins betrachtet.
Noch verwunderlicher wird das alles, wenn man bedenkt, daß die StadtRevue noch immer ihre Auflage steigert, ausgerechnet mit Themen, die gar nicht mehrheitsfähig sind. Das läßt sich nicht allein durch das Kölner Zoo-Gefühl erklären, wo um alles Exotische schnell ein Gehege gezogen wird. Der journalistische Erfolg der StadtRevue ist vielmehr auch ein Protest vieler Kölner gegen das verlegerische Monopol des Medienhauses DuMont, das den lokalen und regionalen Meinungsmarkt beherrscht.
Insofern war es ein unfreiwilliges Geburtstagsgeschenk, das Zeitungsverleger Alfred Neven DuMont der StadtRevue jetzt überreichte: Er kündigte einem seiner Redakteure, weil ihm ein Artikel nicht gefallen hatte. Über diesen Willkürakt wurde von Spiegel bis taz in vielen Medien berichtet – nur eben nicht in Köln selbst. Einzig die StadtRevue war so frei, offen Kritik an Neven DuMont zu äußern – ein Umstand, der die Bedeutung des Stadtmagazins für die publizistische Freiheit in der als liberal verkleideten Rheinmetropole noch einmal unterstrich.
In der Vergangenheit hat es der Zeitungsgoliath nicht an Versuchen fehlen lassen, dem David den Garaus zu machen. Ende der achtziger Jahre kaufte der Verlag DuMont/Schaberg die darniederliegende Kölner Illustrierte und päppelte sie mit viel Geld zu einem, was den Druck betrifft, glänzenden Monatsmagazin auf, das mit Gratisanzeigen und beiläufigem Zeitgeist lockt. Allein die Leser in Köln scheinen die Absicht erkannt zu haben. Jedenfalls ist die Auflage der StadtRevue heute höher als die von Kölner Illustrierte und Prinz aus dem Hamburger Jahreszeiten Verlag zusammen.
Während die meisten Stadtmagazine dieser Republik im Laufe der achtziger Jahre zu bieder-braven Veranstaltungskalendern mutierten, blieb die StadtRevue das „Fossil in der bundesdeutschen Medienlandschaft“ (Die Zeit). Als Zentralorgan bedient sie die Szene, deren Kölner Ausprägung sich in den Kontaktanzeigen am besten zeigt: Auf acht Seiten Minimum stiftet sie Beziehungen – mit einer Lesequote von über 80 Prozent.
Doch in der sechsköpfigen Redaktion freut man sich in diesen harten Tagen vor allem darüber, daß laut Umfrage immerhin noch rund die Hälfte der Leser die Artikel lesen, deren Inhalt sich nach eigener Auskunft „dem Patchwork der Minderheiten verpflichtet“ sieht.
Gerade wieder einmal hat die StadtRevue ein Gerichtsverfahren laufen, weil sich der Kölner Oberbürgermeister Norbert Burger verleumdet fühlte. Die Beschuldigten sind gerichtsbekannt. In zwanzig Jahren linksalternativer Publizistik hat man schon viele Staatsanwälte kommen und gehen sehen. Auf Unterstützung terroristischer Vereinigungen lautete mehrfach der Verdacht, der immer nur das eine Ergebnis hatte: Gratiswerbung durch die Justiz.
Insofern galt der Dank bei der großen Geburtstagsparty im „Stadtgarten“ auch all denen, die der StadtRevue in Köln weiterhin einen so fruchtbaren Boden bereiten.
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