Tanz in die eigene Vergangenheit

■ Tanze, was du nicht sagen kannst, denn der Körper speichert sogar Erinnerungen an Traumata aus der Kindheit

Aus den Lautsprecherboxen dröhnt der Beat. Freitagnachtgerüche schwängern den Raum, die Luft ist schwül und schweißdurchtränkt. Auf der Tanzfläche reiben sich wild bewegte Körper aneinander und steppen durch die Nacht. Die Gesichter sind verzückt, und alle haben eines gemeinsam: Spaß.

Daß Tanzen seit Ewigkeiten den meisten Menschen Vergnügen bereitet, dürfte allgemein bekannt sein. Auch unsere Großeltern hielten sich eng umschlungen und wiegten sich zu flotten Rhythmen der Tanzkapelle. Daß dem Tanzen aber auch eine heilende Wirkung zugesprochen wird und sich daraus eine eigene Therapieform herausgebildet hat, wissen Sie vielleicht noch nicht. In Deutschland existiert diese Heilmethode, die ursprünglich in den USA entwickelt wurde, seit rund zehn Jahren.

„Tanz dich gesund“, ist das Motto dieser Therapie. Stellen Sie sich bitte einmal folgende Situation vor: Sie brechen einen Streit vom Zaun, schnauzen den Bäcker an, bei dem Sie schon seit Jahren Ihre Brötchen kaufen, weil er Ihnen die sechzig Pfennig Wechselgeld nicht rausgeben kann, und rempeln dann noch einen unschuldigen Fußgänger auf dem Weg nach Hause an. Das Frühstück ist im Eimer. „Irgend etwas stimmt mit mir nicht“, denken Sie noch verzweifelt, während Sie lustlos die Morgenschrippe herunterwürgen. Aber Sie wissen nicht, was mit Ihnen los ist. Fragen Sie ihren Körper, der gerade schlecht gelaunt am Frühstückstisch sitzt. Der weiß mehr, als Sie denken, sagen die Tanztherapeuten. Der Körper erinnert sich, so lautet der therapeutische Ansatz. Sogar die Erinnerung an die nonverbale Phase soll demnach noch in unseren Körpern festsitzen. Und alle damit verbundenen Störungen natürlich auch, denn die Lebensgeschichte des Menschen beeinflusse seine Gegenwart. Mit Hilfe der Tanztherapie wollen die Therapeuten den Erinnerungsspeicher knacken und das darin Verborgenliegende daraus befreien. Bewegung und Tanz sind nach Auffassung der Tanztherapeuten die direktesten Wege, um an die verschüttete Erinnerung heranzukommen.

Der Körper spricht eine eigene Sprache – diese wahrzunehmen und die Verbindung mit den verdrängten Gefühlen wiederherzustellen, das ist Ziel der Tanztherapie. „Viele Menschen spüren ihre Gefühle nicht mehr. Aus Angst vor Schmerz, reißen sie sich zusammen. Aber zu viele aufgestaute Gefühle machen auf Dauer krank“, sagt die Psychologin und Tanztherapeutin Brigitte Rumpf. Diese psychischen Zustände des Menschen wirken sich dann auf das körperliche Wohlbefinden aus: in Form von Muskelverspannungen, einer unregelmäßigen Atmung, einer ungesunden Körperhaltung, in der gesamten gehemmten Bewegungsdynamik.

„Ein Vorteil der Therapie ist, daß dabei keine Sprache benötigt wird. Diese kann im Fall von emotional schwer gestörten Menschen sehr ineffektiv sein“, weiß Brigitte Rumpf. In der Therapie tanzt der Patient das, was er mit Worten nicht sagen kann. Über spielerisches Experimentieren und Improvisieren tanzt der Patient nonverbale Geschichten, die symbolisch für seine eigenen Gefühle und Gedanken stehen, so die Therapeuten. Eine geballte Faust etwa führt den Patienten dann vielleicht zur eigenen Wut oder mit etwas Glück zur eigenen Kraft. Eine Geste könne zu einer Frage oder einer Antwort führen. Wenn alles nach Plan verläuft, erfährt der Patient auf diesem Wege etwas über seine eigenen unbewußten Gefühle und seine eigene unerkannte Einstellung zu sich selbst. Und natürlich erfährt er, was ihn bewegt. Anna Petry