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Konzentriertes Volksfest und Problemkomödie

■ Kampnagel: Mitmach-Tanzmarathon „Le Bal Moderne“

In der heutigen Leistungsgesellschaft bringt wohl jeder Spaß ein bißchen Anstrengung mit. Vor allem abends, nach einem Tag voller Hackelei, Ärger mit dem Chef, vier Kaffeetassen und einer Packung Nikotinstangerln, freut man sich, Kondition und Sinnesfreude orgiastisch taumelnd unter Beweis zu stellen. „Sieben, Acht – Was habe ich gesagt, nur zuschauen!“

Aufgeregter französischer Akzent auf Le Bal Moderne. 300 Leute hüpfen unter Anleitung von verschiedenen Choreografen in der K1 unter Lüsterklunkern deren moderne Tänze nach. Die Leute sind von sich begeistert, denn erstens merken sie sich eine mathematische Reihe (7, 8!) und zweitens koordinieren ihre Glieder die geforderten Bewegungen.

„Ich sehe viele Leute, die alle in falsche Richtungen sind. Und das Ende wird schrecklich werden. Ich kenne mein Tanzstück!“ Gaelle Courtet, Choreografin des „Twist Poker“, packt das kalte Gruseln.

Mitmachen macht Spaß, Zuschauen noch mehr. Blicke, Stolpern, Lachen – Verbindungen zu Unbekannten tun sich auf, Details werden wichtig. Wenn sich einem bei „Floridita“ die kalten Hände des rückwärtigen Tänzers auf die Schulter legen, wird klar, warum dieser Gruppen-Schlängel-Tanz ansonsten im sonnigen Kap Verde gegeben wird.

Jede Person ist ein Gesamtkunstwerk. Aber die grauen Herren mit Spitzbärten nicht, die direkt aus der Tanzschule importiert, hier auf Zehenspitzen herumhuschen. Leider gab es kein Casting für die deutschen Vortänzer, die im Publikum für Optik sorgen, sich aber auch nicht 100 pro auskennen. „Alle haben's drauf, bloß einer macht Stau. Das ist der Vortänzer“, amüsiert sich der Kapellmeister. Dennoch geht die Idee des Abends prächtig auf. „Das Theater, in längst vergangenen Zeiten als Ort der Begegnung sehr populär, verstieg sich später in die Reflexion. Wir wollen Kreativität wieder denen da unten zukommen lassen“, erklärt der Tänzer des „Droopy Dance“. „Diese Choreografen erfinden moderne Tänze speziell für Euch! Für Dich!“ Sein Tanz, der „Wackeldackel-Tanz“ zu Musik von John Lurie, ist die perfekte Persiflage einer Paarbeziehung, in der der Mann trübsinnig angedackelt kommt, um nichts als Luftküsse zu ernten.

Die Deutschen hält der Profi für so genaue Tänzer, daß sie vor lauter Konzentration nicht zur wahren Lust finden. Vielleicht ist das ja eine eigene Art, sich zu amüsieren.

Kerstin Kellermann

Noch 19., 20., 24.-26. Oktober, 19 Uhr, Kampnagel, k1

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