Allein dem Gesetz verpflichtet

Vor Gericht standen gestern drei Angeklagte und vor allem ihr Richter  ■ Von Stefanie Winter

Als wüßte er, daß die folgende Verhandlung lediglich am Rande mit ihm zu tun haben wird, lehnt sich Renaldo B. bei der Anklageverlesung entspannt zurück. Zwar wird ihm und dem Mitangeklagten Reiner S. der Prozeß wegen versuchten Einbruchdiebstahls gemacht. Doch die beiden sind einschlägig vorbestraft, an das gerichtliche Prozedere also gewöhnt und haben obendrein je einen Strafverteidiger an ihrer Seite. Und die sorgen dafür, daß – statt ihrer Mandanten – der Richter zwar nicht auf der Anklagebank sitzt, zumindest aber auf dem Prüfstand steht.

Vor genau einer Woche hatte der Amtsrichter, Ronald Schill, eine Frau wegen Sachbeschädigung zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. In zehn Fällen soll die psychisch labile 45jährige den Lack von geparkten Autos zerkratzt haben. „Aus Neid“, meinte Schill. Als „völlig überzogen“ war das Strafmaß in Juristenkreisen heftig kritisiert worden. Die Staatsanwaltschaft hatte eine zehnmonatige Bewährungsstrafe gefordert und legte Berufung gegen Schills Entscheidung ein.

„Jeder hier im Saal weiß“, sagt B.s Anwalt Uwe Maeffert in seinem Plädoyer, „daß dieser Richter vor einer Woche durch ein überaus hartes Urteil aufgefallen ist.“ Das jetzige Urteil erwarte er daher mit „gewisser Spannung“. Möglicherweise um selbige noch zu steigern, konstruieren die Verteidiger und ihre Mandanten eine Situation, die Maeffert später als exemplarischen „Strafmaßfall“ zusammenfaßt: „klar, übersichtlich und schnell aufgeklärt“. Die Angeklagten sind von vornherein und uneingeschränkt geständig, Zeugen werden nicht vernommen, keine weiteren Angaben, keine weiteren Fragen.

Nur eine noch richtet Maeffert an den Richter, als der die Beweisaufnahme bereits geschlossen und sich zur Vorbereitung des Urteils zurückgezogen hatte. Ob Schill sich heute, nachdem er massiver Kritik ausgesetzt war, frei fühle für ein davon unbeeinträchtigtes Urteil, will der Verteidiger wissen. Ob er nicht davon beeinflußt werde, daß das jetzige Urteil an dem vorherigen, umstrittenen gemessen werden werde. „Selbstverständlich“ sei er davon frei, sagt Schill – nach kurzem Zögern. Sonst hätte er sich selbst für befangen erklärt.

Ein Jahr Freiheitsstrafe fordert der Staatsanwalt für den Angeklagten S. Und zwei Monate mehr für B., der zusätzlich wegen Anstiftung zur Urkundenfälschung und Hehlerei angeklagt ist. Die Verteidigung verzichtet auf einen konkreten Strafantrag. Und legt sofort Rechtsmittel ein gegen das Urteil, bei dem der Richter erneut über dem Antrag der Staatsanwaltschaft liegt: Er verurteilt S. zu 15 Monaten, den B. zu 21 Monaten Haft.

„Der Prozeß hat wieder gezeigt, daß der Richter die Forderung der Anklagevertretung als nicht bindend erachtet“, so Maeffert. Ebenfalls gestern und in Abwesenheit eines Rechtsanwalts hatte Schill den 41jährigen Robert B. wegen Körperverletzung zu eineinhalb Jahren Haft verurteilt; die Staatsanwaltschaft hatte sieben Monate gefordert.

Auf die Unabhängigkeit der Richter und ihrer alleinigen Verpflichtung dem Gesetz gegenüber hatte Präsidialrichter Kai-Volker Öhlrich bei aller Kritik an Schill verwiesen. Lediglich bei einem permanenten Streit mit der höheren Instanz könne das Präsidium darüber nachdenken, ob man dies durch eine „Umverteilung der Aufgaben“ ändern sollte.