piwik no script img

Die Burg, die Stadt und die Dichterin

Meersburg am Bodensee: Auf den Spuren von Annette von Droste-Hülshoff. Für die Vermarktung ist die Dichterin gut genug, ansonsten fühlt man sich ihr nicht sonderlich verpflichtet  ■ Von Gerlinde Volland

Kaum in Meersburg angekommen, fällt eines der rosaroten Hinweisschilder ins Auge: Es weist die Richtung zu „Annettes Fürstenhäusle“. Vertraulich wird Deutschlands größte Dichterin beim Vornamen genannt. Schwer vorstellbar, daß das gleiche Deutschlands größtem männlichen Dichter, Johann Wolfgang, widerfahren könnte.

Das Fürstenhäusle, wohin sich Annette von Droste-Hülshoff gerne zurückzog, beherbergt ein kleines Droste-Museum, das nur von April bis Ende Oktober für Besucher geöffnet wird. Wie denn überhaupt das kleine Städtchen, das hauptsächlich vom Tourismus lebt, einen regelrechten Winterschlaf zu halten scheint: auch das Zeitungsmuseum ist nur im Sommerhalbjahr zu besichtigen.

Schon zu Beginn des Frühlings ahnt man, wie ,lieblich‘ die Landschaft mit Obstbäumen und mildem Klima der häufig kränklichen Dichterin aus Westfalen erschienen sein muß. Das Fürstenhäusle, ein ehemaliges Gartenhaus, liegt auf einem Hügel oberhalb der Stadt. Von der Straße aus erklimmt man eine Treppe, an deren Ende das altrosa getünchte Haus steht. Von hier aus wanderte die Dichterin durch die Weinberge zum Bodenseestrand. Vorbei am Glaserhäusle, einem ehemaligen Wirtshaus, in dem sie gerne Station machte, um sich auszuruhen. Am liebsten wanderte sie in Begleitung ihres 17 Jahre jüngeren „Seelenfreundes“ Levin Schücking, mit dem sie 1841/42 ihre glücklichste Zeit verbrachte. Nach dem Tod ihrer Freundin, der Schriftstellerin Katharina Schücking, 1831 hatte die Droste sich deren Sohnes angenommen. Als Levin Schücking 1841 als Bibliothekar des Schwagers Laßberg nach Meersburg kam, weilte auch die Droste zum ersten Mal dort bei ihrer Schwester. Sie entwickelte Gefühle zu dem jungen Mann, die mehr waren als mütterliche Sorge. In einem Brief vom 5. Mai 1842 heißt es: „Guten Morgen, Levin! Ich habe schon zwei Stunden wachend gelegen und in einem fort an Dich gedacht; ach, ich denke immer an Dich, immer ... Mich dünkt, könnte ich Dich alle Tage nur zwei Minuten sehen, – o Gott, nur einen Augenblick! – dann würde ich jetzt singen, daß die Lachse aus dem Bodensee sprängen.“ Doch wie um sich selbst zur Räson zu bringen, wird der Ton eines leidenschaftlichen Liebesbriefes sogleich in betulich-mütterliche Beschwörungsformeln verwandelt: „Ach Du gut Kind ... Aber mich vergißt Du doch nicht, was die Zeit auch daran ändern mag ... Dein Mütterchen bleibe ich doch“, schrieb die 45jährige.

Der Ort, an dem sie ihre Zeit in Meersburg verbrachte, war die Burg, die dem Städtchen seinen Namen gab. An der Kasse der „ältesten bewohnten Burg Deutschlands“ wird die Besucherin überrascht belehrt, man sei hier keine öffentliche Einrichtung, sondern „total privat“. Obwohl die Kasse klingelt und kaum Aufsichtspersonal zu sehen ist, sind die zu besichtigenden Räume teilweise in einem kläglichen Zustand. Man fragt sich unwillkürlich, was wohl mit den Eintrittsgeldern geschieht, da sie offensichtlich nicht für konservatorische Zwecke ausgegeben werden. Gemälde sind stark nachgedunkelt; Felle, die auf Steinbänken liegen, sind verschlissen; und – schlimmstes Sakrileg – selbst die Fensterrahmen in den Zimmern der Droste lösen sich in Wohlgefallen auf. Die erläuternden Tafeln sind etwas dilettantisch gemacht. In einem der ersten Räume des Rundganges wird der spätmittelalterliche Maler Stefan Lochner als großer Sohn der Stadt gepriesen: eine Hochstapelei, die ansonsten aus den offiziellen Informationen für Touristen getilgt wurde. Wohlweislich, denn die Herkunft Lochners aus Meersburg ist historisch nicht nachweisbar, sondern von Heimatforschern durch großzügige Interpretationen von Quellenmaterial behauptet worden, um den Tourismus anzukurbeln.

Nachdem man den kleinen, nicht historisch rekonstruierten Burggarten passiert hat, steht man im Schlafzimmer der Dichterin. Alles ist in einem lichten Lindgrün gehalten. Der große Lehnstuhl, in dem sie bei einem späteren Aufenthalt 1848 starb, steht am Fenster mit Seeblick. Das nächste Zimmer, ihr Arbeitszimmer, ist kreisrund mit weinroter Wandbespannung. Die sparsame Möblierung scheint charakteristisch für die Dichterin. Wenn sie sich auch in ihrem Gedicht „Am Turme“ auf einem Balkon verortet, so kann es dennoch in diesem Zimmer niedergeschrieben worden sein: „Ich steh auf hohem Balkone am Turm, / Umstrichen vom schreienden Stare, / Und laß gleich einer Mänade den Sturm / Mir wühlen im flatternden Haare; / O wilder Geselle, o toller Fant, / Ich möchte dich kräftig umschlingen / Und, Sehne an Sehne, zwei Schritte vom Rand / Auf Tod und Leben dann ringen!“ Sehnsucht, Abenteuerlust und Leidenschaft, die eher der Jugend zugeschrieben werden, kulminieren in diesem Gedicht, das nur sechs Jahre vor ihrem Tod entstand. Wie ihre übrigen Werke rückt es das Klischee von der melancholischen Dichterin zurecht. Idealisierte gemalte Bildnisse zeigen sie als ätherisches Wesen mit schmalem Gesicht und spitzer Nase. Wenig bekannt dagegen ist eine Daguerrotypie von 1845, auf der ein kräftiges, fast bäuerlich wirkendes Gesicht zu sehen ist, mit etwas angstvoll-leidendem Ausdruck. Eine Frau mit hochfliegenden Träumen und großartigen lyrischen Fähigkeiten im Zeitalter des Biedermeier: kein Wunder, wenn Beschränkungen und Selbstbeschränkungen in Depressionen mündeten. „Wär ich ein Jäger auf freier Flur, / Ein Stück nur von einem Soldaten, / Wär ich ein Mann doch mindestens nur, / So würde der Himmel mir raten; / Nun muß ich sitzen so fein und klar, gleich einem artigen Kinde, / Und darf nur heimlich lösen mein Haar / Und lassen es flattern im Winde!“

Zwar wird die Droste als Deutschlands größte Dichterin bezeichnet, aber das Fremdenverkehrsamt von Meersburg hat nur einen getippten Kurzlebenslauf vorzuweisen, mit einem schlecht gezeichneten Konterfei wie von Kinderhand. Für die Vermarktung ist sie gut genug, ansonsten fühlt man sich ihr wohl nicht übermäßig verpflichtet.

Wenn die Besucherin deshalb entnervt den lieblosen Zettel mit den biographischen Daten zusammenknüllt, wird sie ihn nicht los. Meersburg ist eine saubere Stadt. Darum gibt es fast keine öffentlichen Mülleimer. Der Weg zu meinem Logis führt am Friedhof vorbei, auf dem die Droste ihre letzte Ruhe gefunden hat. Das Grab schmücken ein paar verloren wirkende Primeln, ansonsten nackte Erde. Dafür überall diese albernen, entstellenden Büsten. Was durch solche Denkmäler des Guten zuviel ist, ist an anderer Stelle zuwenig. „Annette“ war kein schwindsüchtiges Burgfräulein, sondern „Deutschlands größte Dichterin“. Entsprechend sollte sie auch gewürdigt werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen