Lang lebe der Drehstuhl

Die Möbelfirma Wilkening erhält den Bundesumweltpreis für ihre ökologischen Herstellungsmethoden und ihre reparaturfreundlichen Produkte  ■ Von Jürgen Voges

Hannover (taz) – An Auszeichnungen ist der Möbelproduzent Wilkening und Hahne im niedersächsischen Bad Münder schon gewöhnt. Die schnörkellos-exklusiven Konferenztische und Bürostühle der gehobenen Klasse, die der Betrieb seit den 50er Jahren fertigt, sind oft für ihr Design prämiert worden.

Nun hat die Bundesstiftung Umwelt die Möbelfabrik mit ihren 496 Mitarbeiterinnen auch als ökologischen Musterbetrieb entdeckt. Stiftungssekretär Fritz Brickwedde attestiert ihr „ökologisches Design“, eine „ökologisch-soziale Unternehmensstruktur“ und eine Unternehmensphilosophie, in der Umweltschutz intregraler Bestandteil sei. Der diesjährige Deutsche Umweltpreis, der mit insgesamt einer Million Mark dotiert ist, wird morgen in Hamburg von Finanzminister Theo Waigel an den polnischen Politiker und Ökologen Marciej Nowicki und eben an Wilkhahn aus Bad Münder-Eimbeckhausen verliehen.

In vier markanten Pavillons, deren mit Holz gedeckte Dächer spitz zulaufen und von einer Balkenkonstruktion getragen werden, hat bei Wilkhahn die Polsterei auf 1.600 Quadratmetern ihren Platz. Drinnen riecht es nach Stoff und Leder. Computergesteuerte Maschinen schneiden das Material zu. Unter dem nächsten Zeltdach Nähmaschinen dicht an dicht – Frauenarbeitsplätze. Im Raum dahinter polstern rund um eine Absauganlage Arbeiter die Sitzflächen von Schreibtischstühlen, besprühen Schichtholz und Schaumstoffe mit Kleber. Es rieche hier „nach organischem Lösemittel“, sagt Sabine Skoecz, die in der Wilkhahn Produktentwicklung für ökologisches Management zuständig ist. Aber die MAK-Werte, die maximalen Arbeitsplatzkonzentrationen für die Lösemittel, würden selbstverständlich unterschritten, fügt die junge Betriebsökologin hinzu.

Weiter hinten wird seit 1992 die neue Drehstuhlserie produziert, die gänzlich ohne geklebte oder geschweißte Verbindungen auskommt; das Polster wird allein durch eine Klemmrinne festgehalten. Aber auch dieser „Öko-Drehstuhl“ ist das genaue Gegenteil eines Massivholzmöbels. Er wird gänzlich aus Metall- und Kunststoffteilen montiert, allerdings aus möglichst wenigen und „sortenreinen“, so daß 95 Prozent des eingesetzten Materials recyclingfähig sein sollen. Auch PVC, etwa als Tischkantenabdeckung, oder ordinäre Spanplatten, werden bei Wilkhahn durchaus verarbeitet. Dies hängt auch mit an sich durchaus lobenswerten Unternehmensgrundsätzen zusammen: Die gehobenen Wilkhahn-Möbel sind äußerst langlebig und die einmal in die Fertigung gegangenen Modellserien laufen oft jahrzehntelang.

1989 hatten Verwaltungsrat, Geschäftsführung und Betriebsrat in einem gemeinsamen Grundsatzpapier beschlossen, daß nunmehr „der ökologische Aspekt höheren Stellenwert haben“ sollte „als der schnelle Gewinn“. Unterstützt vom Berliner Institut für ökologische Wirtschaftsforschung führte das Unternehmen danach als eines der ersten ein umfassendes Öko- Kontrolling ein. Heute sind alle Produktionsmaterialien und auch andere im Betrieb eingesetzte Stoffe ökologisch duchgecheckt. Bei den Produktionsabläufen sind Energieverbrauch, Emissionen und die anfallenden Abfälle kategorisiert. Die jährliche Ökobilanz ist selbstverständlich.

Allerdings hat der Geschäftsführungsbereich „Innovation und Ökologie“ durchaus auch noch Aufgaben vor sich: Erst in einem Sessel- und Liegenprogramm wurden ökologisch durchaus problematische Schaumstoffpolsterungen durch ein Kokos-Latex-Material ersetzt.

Einer umfassenden Umstellung der Produktion stehen allerdings die langen Produktzyklen bei Wilkening entgegen, die dennoch ihr gutes haben: In der kleinen Möbelfabrik werden selbst 20 Jahre alte Modelle noch zur Reparatur zurückgenommen und etwa mit einem neuen Polster wiederaufgearbeitet.