: Bundesrat fährt über Leichen
Die Länder akzeptieren eine Verwaltungsvorschrift, die Verkehrsbeschränkungen aufgrund von hohen Benzolwerten fast unmöglich macht ■ Von Annette Jensen
Berlin (taz) – Zuerst die gute Nachricht: In Deutschland gibt es Grenzwerte für krebserregendes Benzol und Dieselruß. Und jetzt die schlechte Nachricht: Die Grenzwerte sind so hoch, daß sie nie überschritten werden. Und wenn sie gegen alle Wahrscheinlichkeit je erreicht werden sollten, dann tritt die Verwaltungsvorschrift über straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen in Kraft: „Das Überschreiten der Konzentrationswerte (...) rechtfertigt für sich allein genommen noch keine Anordnung verkehrsbeschränkender oder -verbietender Maßnahmen, sondern ist lediglich auslösendes Moment für eine umfassende Prüfung und Abwägung durch die Straßenverkehrsbehörde.“
Gestern verabschiedete der Bundesrat die Zusatzvorschrift fast ohne Änderungswünsche. Die Bundesregierung erhält lediglich eine unverbindliche Empfehlung. Die wird sie im Dezember dankend zur Kenntnis nehmen und dann die Benzol-Verordnung mit eineinhalbjähriger Verspätung in Kraft setzen.
Autobahnen sind per se von Straßensperrungen ausgenommen. Und BesitzerInnen von Motorrädern und Autos mit Kat oder Dieselantrieb müssen nie damit rechnen, je einen Umweg aufgrund von zuviel Benzol, Dieselruß oder Stickstoffdioxid in der Luft fahren zu müssen. Auch „unabweisbare Verkehrsbedürfnisse“ einschließlich des Wirtschaftsverkehrs sind zu berücksichtigen. Und für all diejenigen, die noch eine alte Schrottmöhre haben, gibt es auch keinen Grund zur Beunruhigung: Die Behörden erteilen Ausnahmegenehmigungen, „wenn ein Bedürfnis nachgewiesen“ wird.
Noch im letzten Sommer hatte der Bundesrat deutliche Änderungen am Vorschlag des Verkehrsministers verlangt. Doch Matthias Wissmann war dazu nicht bereit und schickte lieber seine Vertreter ins Land.
Mit Erfolg: Rheinland-Pfalz, Hamburg, das Saarland und Berlin bremsten zusammen mit den CDU/CSU-regierten Ländern alle Verschärfungen schon im Umweltausschuß aus. Bis Mitte 1998 gilt als Grenzwert für Benzol 14 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft; erst danach soll er auf acht Mikrogramm abgesenkt werden. In der Frankfurter Höhenstraße etwa, durch die täglich 47.000 Autos fahren, wurden von der hessischen Landesanstalt für Umwelt bis zu 13,4 Mikrogramm Benzol gemessen – ein Wert, der den Tod von fast jedem tausendsten Mensch in Kauf nimmt. Die gestern abgesegnete Verwaltungsvorschrift wird daran auch nach Inkrafttreten der niedrigeren Grenzwerte nichts ändern: „Unabweisbare Verkehrsbedürfnisse“ haben Vorrang vor Gesundheitsschutz.
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