piwik no script img

Black & White – in Perfect Harmony?

Im komplizierten Verhältnis zwischen Schwarz und Weiß im US-amerikanischen Süden ist alles anders, als man denkt. Egal, was man denkt. Auf der Spur von Fassade, Geschichte und Hintersinn  ■ Aus Henning Reed Stillwater

Es ist nicht der dichte Rauch – ungewöhnlich für das rauchfreie, aber typisch für das ländliche Amerika –, der die Verhältnisse auf dieser Townmeeting vernebelt. Im engen Raum des City Cafés drängten sich an diesem Abend 33 Leute, 16 Weiße, 16 Schwarze, und der Diskussionsleiter ist ein Choctaw-Indianer von der Reservation auf der anderen Seite des Highways. Kann man eine rassisch und ethnisch perfekter ausgewogene Versammlung haben?

Daß der Augenschein trügt, ist vielleicht nur die Kehrseite dessen, daß alles ganz anders aussieht, als man erwartet. Woraus man auch den Schluß ziehen könnte, daß alles falsch ist, was man zu wissen glaubt, oder daß niemand die Wahrheit spricht.

Es gibt Leute, die Unfrieden wollen, sagt Anita Harber, die unablässig raucht und Pepsi trinkt. Der Polstermacher, sagt sie, streue das Gerücht aus, Schwarze seien nicht willkommen.

Als der greise, makellos in dreiteiligem Anzug gekleidete schwarze Bürgermeister Fred Montgomery sich vorzeitig aus der Versammlung verabschieden muß, beugt er sich beim Hinausgehen einer vornehm und gutaussehenden weißhaarigen weißen Dame zu, die, ihm entgegenkommend, aufsteht. Er reicht ihr die Hand, sie legt ihm den Arm um die Schulter, er küßt sie auf die Wange, eine graziöse und formvollendete Geste, eine öffentliche Demonstration gegenseitige Wertschätzung.

Dianne Mitchel jedoch, die weißhaarige weiße Schönheit, versichert nachher, daß alles eigentlich ganz anders sei. Ihre Nachbarin habe ihr immer wieder gesagt, sie solle mehr Abstand zu ihren schwarzen Handwerkern halten. Sie sei hier im tiefen Süden und nicht mehr in Indiana. Als die an Arthrose Leidende neulich weinend vor Schmerz aus dem Haus gehumpelt kam, habe ihr schwarzer Dachdecker sie tröstend umarmt. Sie, Dianne, habe deutlich gehört, wie aus einem vorbeifahrenden Pickup voller Männer die Worte „God damned nigger lovers!“ geschrien worden seien. Ob ich nicht gemerkt hätte, wie der Raum kollektiv die Mundwinkel verzogen habe, als der Bürgermeister sie küßte? Nein, habe ich nicht.

Fährt man von Memphis, Tennessee, nordwärts auf Highway 51, gelangt man nach anderthalbstündiger Fahrt durch Baumwollfelder, so man das Schild nicht übersieht, nach Henning, dem Geburtsort von Alex Haley. An den Autor des Erfolgsromans „Roots“, der die Geschichte des aus Gambia nach Amerika verschleppten Sklaven Kunta Kinte erzählt, erinnert das Alex Haley Museum. Es ist im Haus von Haleys Großvater Will Palmer untergebracht, dem Sohn von „Chicken George“ und ersten schwarzen Businessman der Stadt. Sein Sägewerk existiert noch, wenn auch inzwischen in weißer Hand, aber das ist schon fast alles, was außer dem Museum noch an die alten Zeiten erinnert.

Die Bevölkerung, die seit Palmers Zeiten hauptsächlich durch Gebietserweiterung auf 1.500 Einwohner gewachsen ist, zählte nach dem Bürgerkrieg ganze 90 Schwarze, heute sind 95 Prozent der Einwohner schwarz. Gab es früher außer dem Sägewerk drei Baumwollverarbeitungen, zwei Ärzte, eine Apotheke, eine Reinigung, einen Eisenwarenladen, drei Tankstellen, sieben Lebensmittelläden und ein Hotel, so ist die Main Street heute eine Ansammlung verwahrloster Backsteinbauten. Bei „Trash & Treasure“, einer Mischung aus Kramladen und Drogerie, blättert die Farbe von der Decke, und das „Books“ daneben, ein Antiquariat für Groschenromane, sieht drei Jahre nach seiner Öffnung immer noch aus, als würde gerade renoviert.

Nein, Bücher von Alex Haley hat die Inhaberin Anita Harber nicht. Sie ist übrigens wie die benachbarte Krämerin und der Polstermacher eine Tür weiter weiß. Aha: Die Geschäftsstraße des heute weitgehend schwarzen Städtchens ist in weißer Hand! Nicht ganz. Der Bestattungsunternehmer und der letzte Lebensmittelladen sind im Besitz von Schwarzen.

Das Alex Haley Museum ist das Ergebnis eines Deals zwischen dem renommierten Autor und dem damaligen republikanischen Gouverneur von Tennessee, Lamar Alexander. 1986 versprach er dem Ort das Museum, wenn Haley ihn politisch unterstützen würde. Haley mobilisierte den kleinen Ort, und Roger Watkins, pensionierter Schulleiter, Farmer und eine Art Dorfältester, richtete drei Arbeitsgruppen ein: „Wie wir waren – bei Arbeit, Spiel und Gottesdienst“. Es kamen Berge von Dokumenten und Fotos zusammen, und dann kamen jährlich an die 10.000 Touristen.

Wenn der heute 80jährige Bürgermeister Montgomery im Flüsterton durch das Museum führt, ist es, als spräche aus ihm ein Griot, einer jener Geschichtenerzähler Afrikas, die 500 Jahre Historie im Kopf haben. Er war der Spielgefährte und beste Freund Alex Haleys, zusammen haben sie den Geschichten der Großeltern gelauscht, und heute ist er es, der sie weiterträgt. Doch Henning profitierte nur kurz von der Renaissance schwarzer Geschichte. Die 10.000 Touristen kommen noch immer, doch sie halten nur kurz und fahren dann weiter zu den Malls entlang dem Highway 51. Im Ort ist ihre Anwesenheit nicht zu spüren.

Woran es liegt, daß Henning seine Farbe wechselt? Fred Montgomery weiß es auch nicht. Zum einen kommen jene wieder zurück, die in den 30er, 40er und 50er Jahren nach Chicago und Detroit gezogen sind. Diese Emigranten in den industriellen Norden hatten nie ihre Wurzeln im Süden aufgegeben. Und dann machte der Roman Haleys sie stolz auf ihre Herkunft und auf Henning. Die Weißen hier sterben einfach weg, ihre Häuser werden von Schwarzen aufgekauft.

Ob der Zeitpunkt abzusehen ist, da Henning ganz schwarz wird? Fred Montgomery nickt traurig. Das wäre nicht gut. Eine gemischte Gemeinde kann mehr erreichen, sagt er. Das hat er neulich erst gemerkt, als er mit einer Delegation in Memphis war, um Gelder für Infrastrukturmaßnahmen zu beantragen. Sein Wunsch wurde sofort positiv beschieden. Wäre der Stadtrat ganz schwarz gewesen, wäre sein Besuch anders ausgegangen. Jetzt aber ist das einzig verbliebene weiße Stadtratsmitglied krank geworden und hat sein Amt niedergelegt. So einfach sei das mit der schwarz-weißen Zusammenarbeit nun wieder nicht, versichert Dianne Mitchel. Als sie Kuratorin des Alex-Haley-Museums wurde und dann auch noch an der Seite von Fred Montgomery im Stadtrat saß, wurde sie von Weißen und Schwarzen gleichermaßen angefeindet. Wieso übernimmt eine Weiße die Leitung eines schwarzen Museums? fragten die einen – und das, obwohl die Mehrzahl der Besucher dieses Museums weiß sind –, und in der Kirche redete niemand mehr mit ihr.

Ellena Gooch kommt wie eine Wolke aus Seide und Tweed daher. Sie hat die Statur einer Opernsängerin, den Drive einer professional Lady, die Überzeugungskraft einer Baptistin. Die Stimmgewalt hat sie in der Kirche ausgebildet. Nach der Integration der Schulen sind die Kirchen die letzten den Schwarzen verbliebenen Institutionen. Groß geworden ist sie in der Bürgerrechtsbewegung Martin Luther Kings. Ihr Schlüsselerlebnis: Anfang der 60er Jahre saß sie am Tresen der Woolworth- Cafeteria in Nashville. Da sah sie, wie die Bedienung hinterm Tresen Wasser heiß machte, um es den Demonstranten ins Gesicht zu schleudern. Sie sah den Haß in ihren Augen und wußte plötzlich, daß sie ein Recht hatte, da zu sitzen. Vor der Verbrühung rettete sie damals die Polizei, die sie im rechten Augenblick wegschleppte – unter dem Applaus der Kunden. „Was ich tat, widersprach allem, was ich gelernt hatte“, berichtet sie 30 Jahre später, „aber im Gewaltlosigkeitstraining hatte ich geübt, mich nicht zu rühren. So saß ich regungslos in diesem Zwiespalt.“ Sie hat die Wahl zur Bürgermeisterin im benachbarten Ripley, dem Sitz von Lauderdale County, zu dem auch Henning gehört, um nur 200 Stimmen verfehlt – in einem Ort, der mehrheitlich weiß ist.

Außer für ihre Kirche arbeitet sie heute für die Rural Minority Economic Development Association. Der Elan, mit dem Ellena ihre Vision für Henning entwickelt, ist ansteckend. Was Elvis Presley für Memphis ist, das könnte Alex Haley für Henning sein. „Wieso haben wir in Henning nicht alljährlich ein schwarzes Family Festival? Henning wäre seines afroamerikanischen Flairs wegen der perfekte Markt dafür. Wieso haben wir in Henning nicht alljährlich ein Storytelling Workshop & Festival? Eine Oral-History-Woche? Wir könnten Hunderte von schwarzen Erzählern und Historikern eine Plattform bieten und neue heranziehen. Warum verwandeln wir nicht etliche dieser schönen alten viktorianischen Häuser in Bed-and-Breakfast-Pensionen? Wieso haben wir auf der Main Street nicht Geschäfte, die afrikanisches Kunsthandwerk und afroamerikanische Antiquitäten vermarkten, damit die Touristenbusse nicht die Stadt gleich wieder verlassen?“

Das Problem ist, erläutert Ellena Gooch, daß hier die alten Strukturen überleben. „Baumwolle ist nicht mehr der wichtigste Industriezweig, aber auf dem County Board sitzen mehrheitlich Landbesitzer. Wir brauchen Industrie, aber unsere Schulen bilden falsch aus. Verbesserte Schulen aber kosten Geld, und den alten Familien paßt die ganze Richtung nicht. Industrialisierung verdirbt die Preise auf dem Arbeitsmarkt für Landarbeiter, und höhere Grundstückssteuern, von denen in Amerika das Schulsystem lebt, wollen sie nicht zahlen.“

Auch die Anwesenden beim Town Meeting im City Café wollen Investitionen heranholen. Man muß die Stadt erst mal aufräumen, meint Anita Harber, die baufälligen Gebäude abreißen. Drogen müssen bekämpft werden – und die Raser, mein Adrian Wilson, der Polsterer. Man beschließt zunächst eine Befragung der Bürger: Was wünschen sie sich, was können sie beitragen? Anita ist bereit, den Fragebogen auf ihrem Computer zu tippen.

Nach der Versammlung stehen die Leute in Gruppen zusammen. Überall scheint es um das Verhältnis der Rassen zu gehen. Adrian Wilson, der das Gerücht gestreut haben soll, Schwarze seien hier nicht willkommen, stellt mir einen schwarzen Automechaniker vor: „Das ist mein Freund“, sagt er. Sein Freund war aus Wisconsin nach Tennessee zurückgekommen, als sein Vater im Sterben lag. Die Löhne seien hier niedriger und auch sonst sei manches anders, dies aber sei seine Heimat. Mrs. Wilson, die anders als ihr Mann Adrian hier geboren und aufgewachsen ist, umarmt ihn, Kostüm gegen Mechanikermontur.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen