Point 'n' Click: Etwas zu mundgerecht
■ Mehr Acid Jazz als cooler BeBop: Mit einer CD-ROM über die amerikanische Beat generation kann man sich bei Chips und Bier durch die Gegenkultur klicken
„I saw the best minds of my generation destroyed by madness, starving hysterically naked“, heißt es in Allen Ginsbergs berühmten Gedicht „The Howl“: Ich sah die besten Köpfe meiner Generation, zerstört vom Wahnsinn, nackt und hysterisch hungern. So beginnt Ginsbergs Hymne auf das Leben und Leiden der amerikanischen Beat generation. Das waren noch Zeiten.
Ich dagegen habe gesehen, wie die besten Köpfe meiner Generation vom nächtelangen Computergame-Spielen und Internet- Surfen langsam etwas matschig werden. Dabei sind sie nicht nackt, tragen aber oft aus der Form geratene Jogginganzüge, was nur geringfügig besser ist. Und von „hysterischem Hungern“ kann auch nicht die Rede sein – bei solchen Anlässen werden regelmäßig enorme Mengen Kartoffelchips und anderes Junk food heruntergeschlungen.
Naheliegenderweise ist es darum etwas schwierig, den besten Köpfen meiner Generation die – noch gar nicht so lange zurückliegenden – Zeiten nahezubringen, in denen die besten Köpfe noch vom Wahnsinn zerstört wurden und ebenso nackt wie hysterisch hungerten. Zum Glück gibt es nun die CD-ROM „The Beat Experience“, die man sich mit einem Computer ansehen muß, vor dem man aus der Form geratene Jogginganzüge tragen kann, dazu enorme Mengen Kartoffelchips und so weiter.
„The Beat Experience“ enthält nicht nur Ginsbergs „The Howl“, sondern ein Füllhorn von Material zu der ersten Generation intellektueller Gegenkultur in den USA nach dem Zweiten Weltkrieg. „Images, millions of images are all that I cat“, sagt die Stimme von William Burroughs, während die CD-ROM startet. In der Tat war die Beat generation wohl die erste Generation von Künstlern, von denen so viele Bilder und andere mediale Zeugnisse vorliegen, daß es sich wirklich lohnt, über sie eine CD-ROM zu machen. Neben Auszügen aus den Büchern Kerouacs, Burroughs und Ginsbergs findet sich auf der smart gestalteten Produktion auch jede Menge Musik und Filmausschnitte. Jazz von John Coltrane, Miles Davis oder Charlie Parker untermalt nicht nur viele Sequenzen auf dieser CD- ROM; in einem Ausschnitt aus Shirley Clarkes Kultfilm „The Cool World“ sind die Musiker zum Teil auch zu sehen.
Auch die amerikanische Filmavantgarde der fünfziger und sechziger Jahre ist auf dieser CD- ROM gut vertreten: Mir ist zwar nicht ganz klar, was Maya Deren mit der Beat generation zu tun hat (vielleicht ist ihr surrealistischer Film „Meshes of the Afternoon“ auch darum so grausam zusammengeschnitten worden). Und Cineasten wird es in der Seele schmerzen, wie Stan Brakages „Mothlight“ hier in grobe Pixel aufgelöst erscheint: Aber, hey – schließlich ist das ja auch nur als Überblick gedacht. Oder? Manchmal macht es einen schon nachdenklich, wenn man sich vorstellt, daß zukünftige Generationen nur noch etwas über die Vergangenheit lernen, indem sie Multimediaprodukte wie „The Beat Generation“ durchklicken. Statt, wie wir, ein Buch über die Beats zu studieren, einen – vollständigen – Roman von William Burroughs zu lesen und mal „The Cool World“ auf arte zu erwischen. Auf CD-ROMs kommt die Information vielleicht etwas zu mundgerecht proportioniert und etwas zu poppig daher. Sie verhalten sich zu echtem Geschichtsstudium wie Acid Jazz zu BeBop. Wir werden sehen, was das bei den besten Köpfen der kommenden Generation ausrichten wird ... Tilman Baumgärtel
„The Beat Experience“. CD- ROM für Windows-PC und Macintosh, Red Hot/Voyager, zirka 90 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen