: Das Kapital soll in Ostfriesland bleiben
Heute trifft sich in Wilhelmshaven die Windkraftindustrie zur Jahreskonferenz. Teile der Küstenbevölkerung befürchten nach wie vor wirtschaftliche und landschaftliche Nachteile durch die Windenergie. ■ Aus Ostfriesland Wolfgang Redlich
Die Debatte über den Einsatz der Windenergie treibt mitunter schon seltsame Blüten. Wattvögel fiepen am lautesten auf Diskussionsveranstaltungen. Die Fundi- Grünen sehen sich dem üblichen Vorwurf der Technikfeindlichkeit ausgesetzt. Windkraftkritiker stellen mit Entsetzen fest, das mit regenerativer Energie ja Geld gemacht werden kann und müssen sich im Gegenzug vorwerfen lassen, daß sie, wenn sie weiterhin gegen die Windmühlen kämpften, die Nordseeküste bald hinter Hannover schützen könnten. Der Riß geht quer durch die Reihen der ökologischen Kämpfernaturen verschiedenster Couleur. Die Industrie- und Handelskammer Emden fürchtet um den Tourismus und stellt sich damit auf die Seite von Naturschutz-Fundis. Und über allen geistert der unvermeidliche Sankt Florian: Windenergie natürlich schon, aber...
...aber nicht noch mehr Windenergieanlagen (WEA) hinterm Deich. Utgast ist ein kleines ostfriesisches Dorf, 4 Kilometer hinter der Küstenlinie. 200 Seelen und 41 neue WEA im Windpark Utgast II. Zusätzlich zu acht Anlagen des Windparks Utgast I: Summa summarum 49 weiße Riesen mit einer Leistung von je 500 bis 600 KW.
Kurt Bayer, Diplomingenieur und unüberhörbar gebürtiger Kölner, hat sich vor einiger Zeit mit über 500.000 Mark verschuldet und ein altes Bauernhaus zur Pension umgebaut. Er ist der Fachmann für die Juristerei und fühlt sich vom Windpark auch in seiner Existenz bedroht. „An fünfzig solcher Riesenbabys kann man sich nun mal nicht ergötzen“, sagt er und befürchtet gähnende Leere in seiner Herberge. Über die Auswirkungen von WEA auf Touristenströme gibt es immer noch entgegengesetzte Meinungen. Ein Gutachten aus Schleswig-Holstein, das die Windräder für touristisch unbedenklich hält, kann hier, wo jeder fünfte direkt oder indirekt vom Tourismus lebt, nur schwerlich beruhigen. Die Masse macht's. Schließlich stehen von den 3.132 Quadratkilometern Ostfriesland nach einer Studie des Niedersächsischen Umweltministeriums rund 462 Quadratkilometer für die Windenergie zur Verfügung – fast 15 Prozent der Gesamtfläche.
Aber noch ein ganz anderer finanzieller Aspekt drängt sich seit dem Boom der Windenergie in den Vordergrund. Nicht nur in Utgast blicken die Ostfriesen mit einer gehörigen Portion Groll auf die Betreiber der neuen Anlagen. Nur wenige Windräder von Utgast II, einem der größten deutschen Windparks, gehören Einheimischen. Das Gros der Anlagen wird von einer „Germania Windpark GmbH“ betrieben, die in Salzbergen bei Rheine beheimatet ist. Geschäftsführer der Germania sind Markus und Franz Tacke. Letzterer ist zugleich Chef der „Tacke Windtechnik GmbH“, dem zweitgrößten deutschen Windenergieanlagenhersteller. Überflüssig zu erwähnen, wer die 41 Anlagen nach Utgast liefert.
Der Ausverkauf der natürlichen Ressourcen an Auswärtige – mit diesem Argument gewinnen die Windkraftkritiker zusehends Anhänger in Ostfriesland. In Utgast ist es die Germania Windpark GmbH, in anderen Fällen ganz global „Abschreibeprojekte-Anleger aus Süddeutschland“, nach Diktion der Einheimischen also alles jenseits von Oldenburg. In Utgast läßt sich ihrer Meinung nach der Ausverkauf der natürlichen Ressourcen an den beiden Windparks belegen. An Utgast I sind nur Einheimische beteiligt, Utgast II ist nach Auffassung der Bürgerinitiative nur ein Absatzmarkt für Tacke-Windmühlen und Geldanlage für Menschen, denen Ostfriesland ansonsten „schietegal“ ist.
Aus dem Hickhack um Utgast II hat man fünfzig Kilometer südwestlich Konsequenzen gezogen. Im Wybelsumer Polder, einem als Industriegebiet ausgewiesenen Küstenstreifen in Emden, ist einer der größten Windparks Europas geplant. Dieser Park ist von Anbeginn als Bürgerwindpark konzipiert, um die Gewinne, auf die die Betreibergesellschaft Windpark Wybelsumer Polder (WWP) hofft, im Lande zu halten.
Hilfreich ist dabei, daß es sich bei der WWP um die Betriebsform einer GmbH und Co. KG handelt. Die Gesellschafter und Kommanditisten bestimmen, wer in den Klub der Windparkbetreiber aufgenommen wird und wer nicht. Klaus van Ahrens, ein alter Hase aus Growian-Zeiten und Geschäftsführer der WWP, hat für die Akquise des Eigenkapitalanteiles drei Personengruppen im Auge: Anlieger, Landwirte und Bürger aus dem Umland, zum Beispiel Arbeiter des nahegelegenen Emder VW-Werkes. Sie alle sollen zwanzig Prozent des benötigten Kapitals beibringen. Achtzig Prozent sollen durch Kredite aus Förderprogrammen kommen. Sind die Windräder einmal abgezahlt, sollen die Gewinne an die Betreiber aus der Umgebung zurückfließen.
Gegen die Angst der Einheimischen vor den ausbleibenden Touristen geht derweil der Chef der halbstaatlichen Niedersächsischen Energieagentur, Stephan Kohler, in die Bütt. Kohler glaubt, „80 bis 90 Prozent der Urlauber stören sich nicht an den Windmühlen“, und beruft sich dabei auf (allerdings nicht repräsentative) Umfragen unter den Gästen. Viele Gäste würden die regenerative Energiegewinnung sogar positiv sehen, vermutet Kohler. Die Antwort wird wohl erst die Praxis geben – die Erholungssuchenden selbst. The answer is blowing in the wind.
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