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Theater intim und originell

■ Im Ammerland überlebt das Schauspiel auch ohne Zaubertrank

In ganz Deutschland sind die staatlichen und freien Theater von Rotstiftattacken und Bankrotterklärungen bedroht. In ganz Deutschland?

Nein. Ein kleines ammerländisches „Dorf“ zeigt allen KulturpessimistInnen, daß es auch anders geht. Daß selbst die freie Theaterzunft eine Überlebenschance hat. Und dies sogar ohne Zaubertrank. Das 20.000-Einwohner-„Dorf“ heißt Rastede und darf auf eine der kleinsten Bühnen der großen, weiten Republik, das „Theater Orlando“ stolz sein.

Gerade mal 80 Quadratmeter mißt der in einem altehrwürdigen herzöglichen Palais untergebrachte Spielraum. Das ist nicht viel, wenn sich zwei oder gar drei SchauspielerInnen auf der Bühne tummeln und außerdem noch ein Bühnenbild, die Lichttechnik sowie 30 Zuschauer untergebracht werden müssen. Doch die konnten sich im Verlauf der neuen „Orlando“-Produktion „Fräulein Julie“ von August Strindberg einmal mehr von der prickelnden Atmosphäre im Palais überzeugen.

Die zusammen mit dem Bühnenbildner Frank Sulzer für einen theatralen Abstecher vom Oldenburger Staatstheater nach Rastede angereiste Regisseurin Elfi Hoppe verpackte den Klassiker geschickt in jenes Korsett, das Strindberg geradezu schwärmerisch als das „Intime Theater“ bezeichnete. Was natürlich nicht heißt, daß es immer ruhig und verträumt zugehen muß. Kristina Weißer (Fräulein Julie), Sylvia Meining (Kristin, die Köchin) und Ulf Georges (Jean, der Diener) fanden die richtige Rezeptur und ließen die Premierengäste über die gesamten 90 Minuten in einem Wechselbad der Gefühle schwimmen. Das ist nicht selbstverständlich in einem Theater, in dem die Zuschauer so dicht am Geschehen dran sind, daß sie beinahe zum Bühneninventar gehören.

Doch gerade diese Intimität war es, die Sylvia Meining so begeisterte, als sie das Palais für das Theater entdeckte. „Ich war so fasziniert von den Räumlichkeiten, daß ich dachte, hier muß ein Theater rein.“ Gedacht, getan. 1989 feierte das „Theater Orlando“ mit Jean Genets „Die Zofen“ Premiere. Seitdem wird den Rastedern einmal im Jahr ein neues Stück präsentiert.

Von den „Zofen“ bis hin zu „Fräulein Julie“ haben Meining & Co. bewiesen, daß es den jährlich wechselnden Ensembles an Phantasie und Ideen nicht mangelte. Und das, obwohl die ersten Inszenierungen reine No-Budget-Produktionen waren und den SchauspielerInnen und RegisseurInnen bestenfalls die Unkosten gezahlt werden konnten. Die Initiatorin Sylvia Meining: „In den ersten Jahren war Theater Orlando ein Zusatzgeschäft. Und das, obwohl ganz Rastede von unserem kleinen Theater schwärmte. Aber eine richtige Starthilfe hat es nie gegeben. Es hieß: ,Kultur ja, aber bitte kostenlos'.“

Die Zeiten haben sich geändert. Dank Vereinsgründung und einigen großzügigen Sponsoren konnte Sylvia Meining 30.000 Mark in die diesjährige Inszenierung investieren, und statt sechs Aufführungen wie in den Gründungsjahren stehen mittlerweile 30 Abendvorstellungen auf dem Programm. Für das Strindberg-Ensemble war die finanzielle Absicherung jedoch nicht entscheidend für eine Mitarbeit bei „Orlando“. Für die Regisseurin Elfi Hoppe und den Bühnenbildner Frank Sulzer lag der Reiz in der Möglichkeit, mit Theater kreativer und gewagter umgehen zu können als am Oldenburger Staatstheater. Die kollektive Zusammenarbeit bietet mehr Freiheiten und ein entsprechendes Maß an Spielfreude.

Das müssen auch die 30 Zuschauer der „Fräulein-Julie“-Premiere gespürt haben. Minutenlanger Applaus bestätigte einmal mehr die Originalität und die außergewöhnliche Qualität dieses Zimmertheaters.

Thomas Lotte

Weitere Termine für „Fräulein Julie“: 25. - 27. Oktober und 2., 3., 6., 8. - 10. u. 13. November. Palais Rastede, Feldbreite 23.

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