: Charme der Leichtigkeit
Fragmentierter Körper: Ein Porträt des Tänzers Xavier Le Roy, der ab heute für drei Abende im Theater am Halleschen Ufer gastiert ■ Von Michaela Schlagenwerth
Manche sagen, er erinnere sie an den großen Jacques Tati, andere sehen mehr Verwandtschaft mit Karl Valentin. Als Komiker versteht der Franzose Xavier Le Roy, Tänzer und Choreograph der Gruppe Le Kwatt, sich sicher nicht. Doch all seine Bühnenaktionen sind von einem solchen Flair des Todtraurigen und abgrundtief Komischen umhüllt, daß Vergleiche mit Tati oder eben Karl Valentin geradezu reflexhaft und ganz von selbst auftauchen (und in fast jeder Rezension über ihn zu finden sind).
Bis vor einem Jahr, bis zu dem Zeitpunkt, als Xavier Le Roy zum ersten Mal im Rahmen von „Tanz im August“ mit einem Solo im Podewil auftrat, hat ihn eigentlich niemand gekannt. Nun gilt er, nach Anna Huber, als größte Überraschung in der Berliner Tanzszene und „Blut et Boredom“, das zur Zeit gemeinsam mit Teil II, „Boredom Blut et“, im Theater am Halleschen Ufer zu sehen ist, war für viele das eigentliche Ereignis des diesjährigen „Tanz im August“- Programms des Podewil.
Wie schon Le Roys Soli lebt das gemeinsam mit Agathe Pfauvadel getanzte Stück von einer merkwürdigen Schwebe, einem Oszillieren zwischen Abstraktion und Konkretion. Zwei altmodisch-spießig anmutende Siebziger-Jahre- Nachttischlämpchen reichen, um das ganze Elend einer routinierten Zweierbeziehung heraufzubeschwören. Allerdings nur von ferne, wie einen Hauch, wie eine Geschichte, die man sich selbst erzählt. Von der dumpf-anklägerischen Bleischwere deutschen Tanztheaters sind Le Roys Stücke Lichtjahre entfernt.
Sie sind bestimmt von den Körperzerlegungen, der Fragmentisierung, die Le Roy mit seinen zu langen Gliedmaßen betreibt und die, wie traurig und unheimlich sie sein mögen, immer auch über Charme und Leichtigkeit verfügen. Manchmal lachen die Zuschauer an Stellen, die Le Roy für die ernsthaftesten und schrecklichsten des ganzen Stückes hält. Und vielleicht rauft er sich deswegen auch ein wenig die Haare, wenn er nach dem Thema von „Blut et Boredom“ gefragt wird: „Ich weiß es nicht. Es sind ganz viele Themen.“ Wenn man sich wundert, wie diese traurig-absurden Gestalten zustande kommen, die er traumwandlerisch auf die Bühne zaubert, erschrickt er fast: „Das ist keine Absicht. Ich überlege mir vorher keine Bilder, die etwas Bestimmtes ausdrücken sollen. Es kommt durch den Körper. Der Körper macht etwas, und dadurch entsteht ein Bild, eine Stimmung, eine Atmosphäre.“ Die Körperbeherrschung, die Le Roy gelingt und die dazu führt, daß beim Tanz manchmal ein Arm oder ein Bein frei im Raum zu schweben scheint, ist schier unglaublich. „Ich schaue mich von außen an“, sagt er.
Le Roy hat Molekularbiologie studiert und über Krebsforschung promoviert, er hat in New York Merce Cunningham und Trisha Brown gesehen und durch sie den Tanz für sich entdeckt. Er hat zuerst einmal die Woche und dann täglich Tanzunterricht genommen und sich mit 28 (!) Jahren gegen die Forschung und für den Tanz entschieden. „Es ist doch so: Am Anfang untersucht man eine Krankheit, und am Ende beschäftigt man sich mit so kleinen Sachen, von denen man nicht mehr weiß, ob sie mit dem Ausgangspunkt überhaupt noch etwas zu tun haben. Ich habe über Brustkrebs gearbeitet und eigentlich nach den Wegen der Heilung gesucht. Aber darum ging es irgendwann in der Arbeit nicht mehr, und dem Institut, an dem ich arbeitete, ging es schon gar nicht darum. Es ging darum, in der Zeitung zu stehen und schnell seine Promotion fertigzustellen.“
Le Roy hatte sich unter medizinischer Forschung etwas anderes, etwas sehr Idealistisches vorgestellt. Und als sich nach der Promotion die Frage stellte, „gehe ich jetzt an ein berühmtes Labor oder tanze ich, habe ich mich für den Tanz entschieden“.
Das Aufsplittern in kleine und kleinste Teilchen betreibt Le Roy jetzt mit dem eigenen Körper. Partner in künstlerischen und geistigen Fragen ist der Pianist und Komponist Alexander Birntraum. Bei dem ersten Stück von Le Kwatt, „Things I Hate To Admit“, hatte Le Roy in Berlin den Tanz und Birntraum in Rom die Musik erarbeitet. Als sie sich dann trafen, ließen sie eine Videoaufnahme des Tanzes und eine Kassette der Komposition gleichzeitig ablaufen, und es paßte so gut, daß sich alle Überarbeitungsversuche als überflüssig erwiesen. Es war höchste Zeit, die gemeinsame Gruppe Le Kwatt zu gründen.
„Xaviers Ausgangspunkt ist die dekonstruierende Arbeit mit dem Körper und meiner die Geschwindigkeitsforschung“, sagt Alexander Birntraum, für den ein Video von Anne Teresa de Keersmaeker das Schlüsselerlebnis war. Seitdem arbeitet er wissenschaftlich über das Verhältnis von Musik und Tanz. So sind die Stücke von Birntraum und Le Roy immer auch das: eine Kommunikation, ein Aneinanderreiben von Klängen und Bewegung, in denen sich in den besten Momenten der imaginäre Raum der Musik und der reale (Bühnen-)Raum des Tanzes begegnen.
„Blut et Boredom“ und „Blut Boredom et“, 25. bis 27.10., 21 Uhr, Theater am Halleschen Ufer, Hallesches Ufer 32
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