: Glanz und Elend der bemannten Raumfahrt
Sozialismus mit menschlichem Antlitz gibt es doch noch! Billy Bragg, Protestsänger und „Milkman of Human Kindness“, hat eine neue Platte gemacht. Durchaus dutschkehaft geht es um Sport, Verantwortung und Religion ■ Von Thomas Groß
Es spricht für Billy Bragg, daß er auch in kritischen Situationen die Nerven behält. Als 1985 in Milton Keynes die Flaschen auf ihn flogen, während er gerade das Vorprogramm von U2 bestritt, ging er, das ist historisch verbürgt, mit dem Satz in die nächste Runde: „Dieses Stück widme ich dem Erfinder der Plastikflasche. Er hat gerade mein Leben gerettet.“
Etwas Galgenhumor braucht es halt, wenn man, wie Bragg, als ungebetener Gast in geschlossene Gesellschaften platzt. Anfang des letzten Jahrzehnts, die Jugendkultur hatte mit Hilfe von Synthesizern und Extraportionen Glamour Opas Rockkultur glücklich für tot erklärt, schien es keine besonders gute Idee, mit einer einzelnen Bratzgitarre und kantigem Cockney-Liedvortrag den Erfolg zu suchen. Viel zu erdig, viel zu guter Kerl. Kein Hype, kein Hip, kein Garnichts. Bob Dylan für Arme, ging der Spott, dem Billy, der selbsternannte „Milkman Of Human Kindness“, nur mit einem trotzigen Antimodernismus-Programm zu begegnen wußte.
Stephen William „Billy“ Braggs Lieder, daran ist nicht zu rütteln, rochen schon immer mehr nach Pub und Neighbourhood als nach Club und Boheme. Mit sehnigem Arm klammern sie sich an all die in Auflösung befindlichen Werte und Kameraderien einer verkleinbürgerlichten Arbeiterklasse, der das leicht schwitzige Hemd näher ist als die Federboa um Freddy Mercurys Hals – auch wenn diese bei näherem Hinsehen aus ähnlichen Verhältnissen stammen mochte. „A New England“, Braggs größter Hit, ist ein grandios peinliches, aber anrührendes Plädoyer für die Liebe zum girl next door, das in der Prioritätenliste des guten Lebens immer noch vor der Weltrevolution kommt, und auch sonst ist die Botschaft dem Kosmos des Londoner Eastend abgelauscht: „Oops there goes another year/Oops there goes another pint of beer“ – das niedere Lied halt auf bescheidene Freuden, das denkenden Menschen keinen Anlaß zur Verklärung geben sollte, wenngleich...
Wenngleich es Billy Bragg war, der als erster politisch korrekt per Sticker auf reelle Preise von Tonträgern für sein Werk hinwies („Zahle nicht mehr als soundso viel Pfund!“). Und BB es war, der erkannte, daß eine Figur wie Margret Thatcher mit Bolshevique Chic allein nicht totzukriegen ist. Jahre bevor man in Deutschland – im Gefolge der britischen und US- amerikanischen Sozialstaatsniedergänge – auf die Idee kam, in sogenannten Wohlfahrtsausschüssen mal wieder politisch zu werden, organisierte Bragg die „Red Wedge“-Tour, um die Bergarbeiterstreiks im Norden zu unterstützen und Labour endlich wieder in die Regierung zu pushen.
Von Erfolg gekrönt war das bekanntlich nicht, aber es war auch mehr als eine persönliche Karrierestrategie. Bevor Bragg 1991 mit dem Album „Don't Try This At Home“ und der internationalistischen, sogar den traditionellen Schatten der Homophobie überspringenden Vitalitätshymne „Sexuality“ von der Bildfläche verschwand, hatte er es im Lande Pop zur Stimme der common people gebracht. Man mochte ihn, wie die Fankurve einen Fußballtrainer mit guts mag. Und wie Rod Stewart, der Prototyp des britischen Working-class-Aufsteigers, unterstützt er bis heute nicht Arsenal oder Tottenham Hotspurs, sondern West Ham, die Klumpfußmannschaft unter den Londoner Vereinen. Sympathy for the losers?
„Ganz und gar nicht“, meint ein grauschläfiger, leicht bauchender Bragg in einem Hotelzimmer an der Hamburger Reeperbahn. „Ich bin nur für die Art von Leuten, die es trotzdem versuchen. West Ham sind wie bei euch St. Pauli: Keine Aussicht auf die Meisterschaft, gewinnen nie einen Cup oder so was. Und sie spielen doch sehr unterhaltsamen Fußball, oder etwa nicht?“
Bragg ist auf Promotour für seine neue CD „William Bloke“ und offensiv guter Laune. Unaufgefordert zeigt er Schnappschüsse von seinem Sohn, dem offiziellen Grund für die mehrjährige Plattenpause. Auch spricht er in weltanschaulichen Fragen ohne Falsch und Arg, jedoch mit der leicht dröhnenden Selbstgewißheit eines Volkstribunen. Eure Rede sei haha und hoho! Dance Music? – doch, gibt es durchaus schöne Sachen drunter! Ausgehen? – klar, schon noch, aber mehr so um die Ecke, „damit man es hören kann, wenn das Baby schreit“.
Soll keiner sagen, der alte BB habe als Kindsvater seinen Humor verloren! Er ist bloß etwas nachdenklich geworden. „From Red To Blue“, der Opener des neuen Albums, ist ein kritisches Selbstgespräch, das in ein Lob der Biegsamen mündet: Nur sie können, frei nach Brecht, vom Wind der Geschichte nicht gebrochen werden. „Brickbat“ beschreibt die Wandlung eines zornigen jungen Manns zum allroundguten Windelwechsler und Erzieher des Menschengeschlechts.
Überhaupt dominiert ein lyrischer Pastellton, der allzuviel Avantgarde flieht. Das Humanum als solches wird angestrebt. „The Space Race Is Over“ zieht Gedankenringe um die Zeiten, da der Sänger selbst ein Kind noch war, und der alte Mond so stille über den Gedanken hinging. Jetzt, wo der Himmel entzaubert ist, muß Ikarus kleinere Brötchen backen, und auch der Cyberspace macht den Verlust nicht wett, denn: „Where in the hell's that at?“
Das würden die Computerkinder natürlich anders sehen. Aber Bragg hat es auch mehr im Sinne einer allgemeinen Warnung gemeint: „Glaubt nicht daran, daß Technologie von sich aus etwas verändert! Das Internet ist eine tolle Sache, es gibt ja auch Billy- Bragg-Newsletters da drin, ha, ha – aber Leute, es ist doch bloß eine Kommunikationsform! Wie hieß der Typ noch mal, der in Los Angeles von der Polizei zusammengeschlagen worden ist? Genau, Rodney King. Wenn die Technik mal so weit ist, daß man eine elektronische Kamera ins Netz einspeisen kann, um so was live zu zeigen, dann laß uns noch mal drüber reden.“ Wer, wie Bragg, Glanz und Elend der bemannten Raumfahrt miterlebt hat, ist nicht mehr so ohne weiteres für den Glauben an die siegreiche Entwicklung der Produktivkräfte zu haben. Zu sehr gehört der in die alte, eingefrorene Welt der Blöcke – gegen die immerhin leichter anzusingen war. Ein Zufall ist es bestimmt nicht, daß des Protestsängers Rückzug aufs Jahr genau mit dem Ende der Ära Thatcher zusammenfiel, der Zeit seiner größten Erfolge.
„Bisher, bisher!“ widerspricht Bragg humorig, aber entschieden. Es gehört schon eine Portion Zweckoptimismus dazu, die heutigen Zeiten als „wie geschaffen dafür, Sozialist zu sein“ zu loben und obendrein Ernst Thälmann als positives Beispiel ins Feld zu führen (zumal Billy „Laß uns noch mal drüber reden“ Bragg beim letzten Festival des politischen Liedes als Volksverhetzer hochkant aus der DDR rausflog).
„Uses his obvious intelligence for disruptive influence“, stand in seinem Schulabgangszeugnis, eine Mitgift, von der er auch auf „William Bloke“ reichlich Gebrauch macht. „Northern Industrial Town“, später Nachfahr des topical song, handelt von einer Welt, in der immer nur die Wahl zwischen zwei im Endeffekt gleich schlechten Fußballvereinen bleibt, aber „Upfield“, der Soz-Art-Power-Hit des Albums, gelangt im utopischen Überschlag und unter schmetternder Hilfe von Soulbläsersätzen zu der Conclusio: „I've got a socialism of the heart!“
Wer findet, hier sei die Grenze zum Kitsch überschritten und Sozialismus keine Frage der frommen Denkungsart, sondern der konkreten Interessen, dem kann kaum widersprochen werden. Er sollte allerdings auch bedenken, daß Protestsänger, die nicht von vornherein der verlängerte Arm einer nicht minder fetischistischen „Politikfähigkeit“ sein wollen, heute mit einer gewissen Zwangsläufigkeit als Proselyten und bunte Hunde daherzukommen haben. A Bloke's progress! Ganz schlecht ist die Tradition, so gesehen, nicht – im Gegenteil. Durchaus dutschkehaft wirbt Bragg für eine Best-of- Variante aus Edutainment, zivilem Widerstand und wohlverstandener Commie-Solidarisierung, die mit einigem Recht die Tradition des Gospels und der Bürgerrechtsbewegung für sich reklamiert. Curtis Mayfields „Move On Up“ ist das erklärte Vorbild für einen Song wie „Upfield“.
Sicherlich mit ein Grund dafür, daß Bragg, der die Labour Party während des Golfkriegs unter Protest verlassen hat, nicht allzu viele Hoffnungen auf den smarten Leader Tony Blair setzen mag – zu sehr prallen da zwei Arten der Werbung um das Volksvermögen aufeinander. „New Labour kommt einfach nicht raus mit dem, was sie nun wirklich sind“, hat Bragg schon im Mai einem Reporter des britischen Independent erklärt, „eine Partei des demokratischen Sozialismus, Sozial- oder sogar Christdemokraten? Es ist witzlos, wenn ich mich im Geiste auf einen Berg über den Wolken stelle und sage: ,Hey, ich kann das neue Jerusalem sehen‘, wenn alles Utopische von eben dieser New Labour Party als überwundenes Erbe der Achtziger betrachtet wird.“
New Labour hat übrigens, unbeeindruckt vom Verlust solch eines prominenten Anchorman, über eine Pressesprecherin mitteilen lassen, es könne sich nur um eine „persönliche Entscheidung“ handeln. „Mehr als 100.000 Mitglieder konnten gewonnen werden, seit Tony Blair die Führung übernommen hat, und insbesondere die Zahl junger Parteigänger hat stark zugenommen.“ Mr. Braggs Entscheidung entspreche also „ganz offensichtlich nicht dem Trend“.
Womit sie ja recht haben mag.
Billy Bragg: „William Bloke“ (Cooking Vinyl/Public Propaganda)
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