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Hurra, die Tante ist tot!

Schätze aus der Dachkammer: Jeschke, Meinke & Hauff versteigern Omas Bettlektüre. Wer richtig mitbieten will, braucht vor allem – eine erregungsresistente Gesichtsmuskulatur  ■ Von Andreas Becker

Gestern morgen Punkt zehn Uhr eröffnete er zum 13. Mal eine Versteigerung, der hölzerne Auktionshammer von Hans-Joachim Jeschke. Zur Versteigerung gelangen noch bis Montag 5631 historische Bücher, Seekarten, Grafik, alles, was auch nur im weitesten Sinne mit „Druck“ zu tun hat. Dazu gehören auch Autographen, handgeschriebene Originale.

Auch kleinste Papierschnipsel können wertvoll sein, wenn ein bekannter Autor darauf vor zweihundert Jahren ein Kochrezept notiert hat. Wer auf dem Dachboden der toten Tante aber nur nach verschollenen Zetteln vermeintlicher Superautoren à la Goethe sucht, liegt oftmals falsch. Ein Hannoveraner Antiquar, der regelmäßig im Jahr zu den Auktionen von Jeschke, Meinke & Hauff kommt, steht rauchend vor der Tür des Auktionshauses, als gerade einige Positionen aufgerufen werden, die ihn nicht interessieren: „Karl May schlägt Goethe um Längen. 'ne Postkarte von Karl May wird locker um 1.500 Mark gehandelt. Gesucht ist krudes Zeugs, zum Beispiel Vorkriegs-Adreßbücher. Was die Leute wegschmeißen, ist oft am wertvollsten.“ In schwachen Bildungsmomenten abonnierte Konversationslexika, die einem den Platz für den Videorecorder verstellen, sind so gut wie unversteigerbar, wenn sie nicht sehr alt sind oder Schiller persönlich seinen Kaffee drüber geschüttet hat.

Der Schrecken der Antiquare bei Nachlässen sind zentnerschwere Bananenkisten mit einer Reihe über Nobelpreisträger, die neu pro Band 70 Mark kosten. Laut Verlag mit „garantierter Wertsteigerungschance. „Wir verkaufen die zu drei Mark das Stück.“ Meterweise Bertelsmann und Reader's Digest sollte man gleich zum Altpapier werfen. Bei Standardausgaben bürgerlicher Klassikern ruiniert deren einstmals massenhafte Verbreitung den Preis: „Goethe, Schiller, Shakespeare – liegen alle knapp überm Altpapierpreis.“

Viele der Versteigerungsstücke in den bis unter die Decke vollgepackten Ladenräumen in der Habsburgerstraße liegen denn auch nur bei 150 bis 200 Mark. Dieser angegebene Katalogpreis ist die sogenannte Taxe. Der voraussichtlich erzielbare Preis. Die Versteigerung beginnt meist schon bei nur zwei Dritteln dieses Werts. Stücke, die mangels sich hebender Arme nicht weggehen, bleiben noch einige Wochen bei J,M&H und können auch in dieser Zeit noch gekauft werden. Ganz Knauserige spekulieren genau darauf, und bieten auch nicht für Handschriften oder Drucke, die sie brennend interessieren.

Jede Versteigerung umweht der Hauch einer großen illegalen Pokerrunde im verräucherten Hinterzimmer, bei der jeden Moment die Bullen reinstürmen könnten. Wer zuviel Interesse zeigt und zu hektisch Gebote ruft, der weckt vielleicht erst die Raffgier eines Antiquars, der dann plötzlich mitbietet und den Preis in die Höhe treibt. Auch wenn keiner der Anwesenden mitbietet, kann es passieren, daß der Preis langsam, aber sicher in die Höhe schießt. Horst Olbrich, der das Jahr über die Recherchen für den aufwendig gestalteten Versteigerungskatalog betreibt und dann Texte über die angebotenen Werke verfaßt, spielt während der drei Versteigerungstage oftmals den Handyman. Dann fährt er sich schon mal nervös durchs Haar und fragt in den Hörer: „4.800 – sind sie noch dabei?“ Händler aus Singapur oder Antiquare aus Amsterdam sparen sich die Reise und bieten per Telefon.

Bei den zwei jährlichen Versteigerungen bleiben viele Stücke ungekauft. 80.000 Mark kosten Druck und Postvertrieb des Katalogs. Jedem Exemplar legt man vorsorglich eine Rechnung bei, die aber nur von rund 10 Prozent der Kundschaft beglichen wird.

Bei der aktuellen Herbstauktion dürfte es Samstag mittag bei Postion 2.930 interessant werden. 24.000 Mark beträgt die Taxe für die komplette Sammlung der 17 Hefte des Schaden. Die Zeitung ist Dokument der DDR-Undergroundkünstlerszene. 13 Einladungskarten der Galerie Eigen und Art Leipzig mit Originalgrafiken liegen bei, „einige mit Original-Widmungen von ,Judy‘ Lybke“. Der Schaden wurde von Publizisten wie Christoph Tannert herausgegeben. Oder auch von Sascha Anderson. Texte von Penck, Papenfuß-Gorek oder Heiner Müller im Schaden werden die Hefte vermutlich über 30.000 Mark steigen lassen. Der Katalog prahlt: „Andere vollständige Sammlungen in öffentlicher oder privater Hand sind nicht bekannt. Diese Suite ist noch zusätzlich mit Originalen getrüffelt.“ Jetzt müßte man nur noch rauskriegen, wer den Gewinn aus dem Schaden haben wird. Andreas Becker

Jeschke, Meinke & Hauff, Habsburgerstr. 14. Samstag bis 18.30, Montag 10–13 und 15–18 Uhr

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