: Prächtiges Provisorium
Das Erbe von Bund und Ländern: die Staatlichen Museen zu Berlin. Groß und klein, Ost und West rückten unter einem Dach zusammen – und sind zu Konkurrenten geworden. Zwischenbericht von einer Nationalbaustelle ■ Von Ulf Erdmann Ziegler
Es ist die zugigste Stelle Berlins, ein großer Parkplatz, mit einer äußerst beschaulichen Kirche, einem Veranstaltungszelt und einem Trödler für Mercedes-Limousinen. Die anderen Gebäude definieren das, was die West-Berliner das Kulturforum tauften – eher Hoffnung als Beschreibung. Es ist immer ein Provisorium gewesen, ein Projekt, das nicht fertigwerden konnte oder sollte.
Wer das Kulturforum von seiner besten Seite sehen will, sollte zwischen halb acht und acht eine Begehung vornehmen: Wenn die akademischen Eggheads in Scharen aus der Staatsbibliothek kommen und aus der kleineren, extrem gut organisierten Kunstbibliothek gegenüber, auf der anderen Seite der schwer befahrenen Potsdamer Straße. Gleichzeitig sind Leute in großer Garderobe angerauscht, um in der golden glitzernden Philharmonie zu verschwinden. Ob ein Platz öd ist oder festlich, ist vielleicht keine Frage großen Designs. Die Frage ist, ob er frequentiert wird, und wie.
West-Berlin war ja mit seinem Zweidrittelstück von der großen Torte nicht schlecht gefahren: der Kurfürstendamm, das Schloß Charlottenburg, die Museen in Dahlem. Zum Beispiel. Aber das historische Herzstück lag im Osten: Rathaus, Oper, Pergamonmuseum; und das klassizistische Schloß des Baumeisters Andreas Schlüter, das schließlich realsozialistisch gesprengt wurde. Der DDR war ihr Osten zu antik, dem Westen sein „Alter Westen“ kulturell zu mager. Nach der Öffnung der Mauer starrten sich die Institutionen an wie Feinde, die zuvor Rücken an Rücken gelebt haben.
Auf einem Kunsthistorikerkongreß vor ein paar Jahren in Berlin, trat ein englischer Museumsmann auf, der die Berliner zu trösten wußte: Die Londoner Museumslandschaft sei absichtsvoll dezentral organisiert. Deshalb, weil jede Sammlung ihr eigenes Publikum und jeder Stadtteil seine Dynamik habe. Absichtlich habe man nicht das Pariser Modell gewählt.
Wenn es einen Shuttle-Bus gäbe, der die wichtigsten Berliner Kunstmuseen verbinden würde, wäre dieser Bus bei Werktagsverkehr gewiß anderthalb Stunden unterwegs – die reine Fahrtzeit gerechnet. Er würde an der Museumsinsel abfahren, vorbei am Bahnhof Friedrichstraße und an der Charité auf den Hamburger Bahnhof zusteuern, der nur Bahnhof heißt. Ab dem 3. November wird dieser Bau als „Museum für Gegenwart Berlin“ eröffnet. Durch ein Gestrüpp vorläufiger Straßen um den Lehrter Bahnhof herum würde der Bus sich zum Kulturforum quälen, mit den Stationen: Kunstgewerbemuseum, Kupferstichkabinett und Neue Nationalgalerie. Dann würde die Fahrt auf der Westachse weitergehen, vorbei am Zoologischen Garten bis ins westliche Charlottenburg, wo er vor einem hellen, turmartigen Haus haltmachen würde: die Sammlung Berggruen im Stülerbau, ein makelloses Kleinod. Danach käme eine längere Strecke in den Süden der Stadt bis nach Dahlem, wo ein ganzes Bündel ethnisch orientierter Museen sich – noch – mit der Gemäldegalerie einen Komplex teilt. Dann zurück zur Museumsinsel. Wer dabei die achtzehn Museen mittelgründlich anschauen wollte, müßte zwei Übernachtungen einplanen. Es gibt eine Menge zu sehen.
Wobei nicht von städtischen, privaten und Stadtteilmuseen die Rede ist, sondern ausschließlich von den „Staatlichen Museen zu Berlin/ Preußischer Kulturbesitz“. Der Eigentums- und Verwaltungskoloß Preußischer Kulturbesitz wurde 1957 als Stiftung gegründet, ein westliches Modell, um die Besitztümer des Königtums Preußen zu erhalten – und die Kosten auf den Bund und die Bundesländer zu verteilen. Nicht zufällig lagen große Teile dieses Besitzes in Berlin: Die Frontstadt des Kalten Krieges sollte kulturell nicht nur nicht verfallen, sondern massiv dazubauen: die Neue Nationalgalerie nach dem Entwurf Mies van der Rohes (1968), die modernen Anbauten am Museumskomplex Dahlem (1971) und die Staatsbibliothek (1978).
Während die Funktion der Stiftung offiziell war, das preußische „Erbe“ bis zu einer zukünftigen Wiedervereinigung Deutschlands zu bewahren, entwickelte sie sich tatsächlich zu einem gewaltigen kulturpolitischen Instrument, mit dem man erfolgreich kompensieren konnte, daß die alte Staatsbibliothek und die gesamte Museumsinsel der DDR zugefallen waren. Die SPK war eine zentrale Konzentration der Kräfte in einem föderalen Staat. Daß man diese Funktion nicht preisgeben darf, wurde nach 1990 erkannt. Also wurde die Satzung umgeschrieben; und die greifbaren und begehrten Institutionen des Ostens mit charmanter Gewalt annektiert.
In den frühen achtziger Jahren hatten die Grafiker Nicolaus Ott und Bernard Stein für den Verband der Museen eine Reihe von Plakaten entworfen, dem sie eher beiläufig ein Logo eingefügt hatten; das Kürzel der in der SPK organisierten Museen, der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, SMPK, als solides und offenes Geviert. Eine Windrose, ein Fenster, ein Baukasten oder ein Haus. Das Logo wurde zum Markstein der Museen. Mit der Vereinigung der Museen allerdings wurde beschlossen, den östlichen Namen „Staatliche Museen zu Berlin“ zu übernehmen, so daß das Kürzel eigentlich lauten müßte: SMZB/PK. Die Stiftung hielt jedoch am Ott + Stein-Logo fest. Irrtum ausgeschlossen: Die SMPK sind eine westliche Konzeption und eine westliche Idee von Kultur. Was sich auch in der Praxis zeigt.
Der Mies-van-der-Rohe- Bau in West-Berlin hieß Neue Nationalgalerie, aber wurde schlicht Nationalgalerie genannt. Damit war der Anspruch formuliert. Erhebliche Mittel mußten aufgewendet werden, die „Entartete Kunst“ der Nazis zurückzukaufen: Mit wichtigen Werken von Ernst Ludwig Kirchner, Otto Dix und George Grosz steht die Sammlung in bezug auf deutsche Künstler nicht schlechter da als 1933, sagt Dieter Honisch, Direktor seit 1975. Honisch ist dafür bekannt, daß er Kunst vom Künstler her denkt und empfindet. An erster Stelle kommt nicht die museale Repräsentation.
Die Neue Nationalgalerie ist museumstechnisch ein bißchen schlicht geblieben, und die Kataloge und Plakate der großen Ausstellungen hatten immer etwas Blasses. Der Verein der Freunde, angeführt vom Rechtsanwalt Peter Raue, steuerte erhebliche Mittel für Ankäufe und Ausstellungen bei, war aber auch ein externer Apparat, der Bedingungen stellte. Die Sammlung ist jetzt beachtlich: international, mit wenig Spreu, aber mit nicht unerheblichen Lücken. Das sieht auch Honisch, der an die Begrenztheit der Mittel erinnert.
Die Nationalgalerie auf der Museumsinsel wurde nach dem Zusammenschluß der Museen in Alte Nationalgalerie umgetauft. Sie war als dritter Bau des Ensembles, das später Museumsinsel heißen sollte, von 1866 bis 1876 gebaut worden und wuchs damit als Museum des preußischen Staates in das 1875 gegründete Deutsche Reich hinein. Die Anregung, eine Deutsche National-Galerie zu bauen, stammte aus der Mitte des Jahrhunderts und hatte zu tun mit dem Bemühen des fortschrittlicheren Bürgertums, die deutsche Kleinstaaterei zu beenden.
Der Entschluß des preußischen Staats, sich mit einem nationalen Anliegen zu profilieren, kam spät und brachte den klassischen Konflikt zwischen Museumsleuten und Staatsführung hervor: Die Staatsführung wollte nicht die beste zeitgenössische Malerei ausgestellt, sondern die eigene Ehre mit heroischen Schlachtenbildern befördert sehen. Das Gebäude selbst ging auf einen Entwurf des dilettierenden Architekten König Friedrich Wilhelm IV. zurück.
Peter-Klaus Schuster, Jahrgang 1943, kam als Spezialist für das 19.Jahrhundert an die Neue Nationalgalerie und wurde als Direktor der Alten Nationalgalerie auf der Museumsinsel inthronisiert, nachdem der dortige Chef – Führungskader der DDR – seinen Posten zur Verfügung gestellt hatte. Schuster versprüht die Aura eines Managers. Gekonnt verwebt er die Ebenen „offiziellen“ und „privaten“ Sprechens und suggeriert mühelos, daß er sich nichts erkämpfen wird und alles kann. Er gehört zu den raren Museumsmenschen, die flüssige und lesenswerte Katalogtexte schreiben können.
Als er die Alte Nationalgalerie übernahm, gab die Neue Nationalgalerie ihre Bestände des 19. Jahrhunderts dorthin ab. Die Neue Nationalgalerie aber bekam – in einem ungleichen Gegenzug – die Bestände dessen, was in Ost-Berlin an Kunst der DDR gesammelt worden war. Als Dieter Honisch es wagte, einige der Werke in die ständige Präsentation einzugliedern, brach der Sturm los. Es bildeten sich ungewöhnliche Koalitionen: Die späte DDR-Avantgarde der Künstler verbündete sich mit der Berliner CDU (geht nicht: „Staatskunst“), und das Post-SED-Establishment triumphierte mit der FAZ, die mit Bernhard Heisig und Werner Tübke die Malerei der Gegenwart „revitalisiert“ sah.
Eins stand jedenfalls fest: Die Neue Nationalgalerie, in der nichts besser aussieht als die festen, leuchtenden Farbflächen eines Barnett Newman, war plötzlich dabei, deutscher zu werden als jemals zuvor; was eine Ironie der Definition ist, denn DDR-Kunst stand nie für die „Nation“, sondern war letztlich „regional“, wie Honisch schließlich präzisierte (Katalog „Figur und Gegenstand“, 1995). Nur, wenn man sie in einer „Nationalgalerie“ zeigt, stellt sich das anders dar.
Man würde Schuster und Honisch nicht als Konkurrenten betrachten. Nun ist allerdings klar, daß Honisch, wenn er am 31. Mai 1997 in Pension geht (man hat das Datum auf seinen Dienstausweis gestempelt), von Schuster beerbt wird. Schuster wird Chef beider Museen. Für Honisch wird also kein Ersatz gesucht, jemand, der ähnlich denken würde wie er, der die Kunst aus der Produktion heraus und das Publikum an zweiter Stelle denkt. Schuster sagte letztes Jahr: „Das Grand Louvre, da müssen die Berliner Museen hin.“
Nur: Deutschland ist nicht Frankreich, Berlin nicht Paris, Föderalismus nicht Zentralismus und Kohl nicht Mitterrand. Gerade indem die großen und kleinen Kunstmuseen mit internationalem Anspruch unter dem Dach der SMPK zusammenrückten, sind sie zu Konkurrenten geworden. Sie hängen alle am gleichen Budget.
So war auf dem Kulturforum schon vor 1989 ein Neubau für die Gemäldegalerie der alten Meister geplant. Der Bau ist, nach Plänen eines Münchner Architekturbüros, begonnen und gestoppt worden, weil die Mittel fehlen. Andererseits ist der Ausbau des Hamburger Bahnhofs forciert worden: Am Sonntag in einer Woche wird er mit Pomp eröffnet. Er wird große Teile der Sammlung Erich Marx beherbergen, der wichtige Stücke amerikanischer Kunst seit Warhol erworben hat, und einige Werkstücke links und rechts des Wegs. Wenn die Gemäldegalerie, wahrscheinlich nächstes Jahr, dann von Dahlem an die Potsdamer Straße zieht, widerfährt den ethnischen Museen in Dahlem das, was viele Museumsleute wünschen: Sie haben endlich Platz für ihre Exponate. Nur, wenn alles ausgebreitet ist und gut beleuchtet und beschriftet: Werden die Leute dann die Shuttle nach Dahlem besteigen?
Das Muster von Hoffnung und Furcht, das die Museumsleute in Dahlem umtreibt, bewegt in Wirklichkeit alle anderen auch. Sind wir der Standard, nach dem sich andere Institutionen richten, oder sind wir ein elitärer Sonderfall? Wenn es die Attraktivität der Plätze ausmacht, daß Menschen sie frequentieren, ist die entscheidende Frage, auf welche Signale sie reagieren. Daß Kunst ein Volksfest sein kann, beweisen die Zahlen, vom Millionen-pro-Jahr-Betrieb Pergamonmuseum bis zu Christos versponnenem Reichstag.
Gerade haben Bund und Länder die Mittel für die jährlichen Betriebskosten der SPK bis zum Jahr 2005 gesichert. Aber was die großen Projekte angeht, hat man die West-Pläne vor 1989 nahezu abgespult, und für die Museumsinsel fehlt es jetzt auch mittelfristig an Geld. Die Ergebnisse des Architekturwettbewerbs um die Komplettierung des Rundgangs auf der Insel durch Zusatzbauten sind gerade eingesargt worden. Jetzt werden die ersten fünf Preisträger gebeten, einen Entwurf nachzureichen, der für den Aufbau des Neuen Museums allein tauglich ist. Das Neue Museum liegt hinter dem prächtigen Alten Museum Schinkels, das die Fassade der Museumsinsel zum verödenden Palast der Republik hin ausmacht. Seit fünfzig Jahren lag das irgendwann einmal „Neue“ Museum als Ruine da. Jetzt ist erst einmal das Fundament freigelegt. So bleibt auch die legendäre Museumsinsel vorerst ein Provisorium, und vielleicht hat das sein Gutes.
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