: Psyche und Holocaust
■ Eugen Drewermann sprach in Bremen über kollektive Angst und Diktatur
„1933 wurden die Bücher Sigmund Freuds verbrannt, weil er den Herrschenden nicht nur auf die Finger, sondern ins Herz geschaut hatte“, begann der katholische Theologe und Psychotherapeut Eugen Drewermann seinen Vortrag über „Psychoanalyse und Holocaust“. Drewermann sprach am Dienstag auf Einladung von Radio Bremen und der Deutsch-Israelischen Gesellschaft in der Remberti-Gemeinde und versuchte seinerseits, der Nazi-Gesellschaft ins Herz zu schauen. Denn: „Solange wir nicht auch die psychischen Zusammenhänge begreifen, sind wir nicht vor einer Wiederholung geschützt.“
Für verkürzt hält Drewermann die Auffassung, den Faschismus bloß als rassistisch zu begreifen. „Möglich wurde er erst durch den Zustand kollektiver Angst, in dem sich die Deutschen nach dem 1. Weltkrieg befanden. Dazu gesellten sich Größenwahn einerseits („Eigentlich sind wir die wahren Sieger“) und große Verunsicherung andererseits („Was bin ich als Deutscher wert?“). Diese explosive Mischung habe Hitler so aufgegriffen und demagogisch in Worte gefaßt, daß das Volk sich verstanden fühlte. Die Fragen, warum so viele Deutsche mitgemacht und sich so wenige verweigert haben, versuchte Drewermann mit den Mitteln der Sozialpsychologie und den Mechanismen zu beantworten, die fast zwangsläufig ablaufen, wenn Menschen sich zu Gruppen zusammenschließen. „Zu welchen Gruppen Menschen jeweils gehören, hängt zumeist von Zufällen ab. Diesen Kreis der Beliebigkeit versucht man zu durchbrechen, indem die eigene Gruppe als die überlegene oder bessere erklärt wird.“ Abgrenzung und Feindseligkeit gegen die Nachbargruppe seien die Folge. An der Grenze der eigenen Gruppe ende die Menschlichkeit. Drewermann: „Scharen sich Gruppen in Momenten der Angst zusammen, ensteht aus Demokratie Diktatur.“
Der Nationalsozialismus habe aus Individuen Massenmenschen gemacht, indem er ihnen die Liebesfähigkeit abtrainiert hat. „Aber durch die Liebe eines anderen bekommt der Mensch ein Gefühl für seine Einzigartigkeit. Wenn er das verliert, ist er anfällig für Drill und blinden Gehorsam.“ Eine Aufgabe der Psychoanalyse heute, so Drewermanns Fazit, bestehe darin, Gruppenneurosen zu erklären und aufzuarbeiten. „Wir müssen lernen, starke emotionale Gruppenbindungen mit gesunder, kritikfähiger Distanz zu verbinden.“
Beate Hoffmann
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