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Zur Fahne ohne Gnade

■ DDR-Kriegsdienstverweigerer erneut zu Bewährungsstrafe verurteilt

Der 25jährige Kriegsdienstverweigerer Oliver Blaudszun wurde gestern in einer Berufungsverhandlung vor dem Landgericht erneut zu drei Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Im Gegensatz zum Amtsgericht, das Blaudszun Anfang des Jahres wegen Fahnenflucht verurteilt hatte, hielt das Landgericht den Angeklagten gestern „nur“ noch einer versuchten Fahnenflucht für schuldig. Der Fall hatte großes Aufsehen erregt, weil Blaudszun bereits zu DDR-Zeiten den Kriegsdienst verweigert hatte und wegen versuchter Republikflucht 14 Monate im Knast saß.

Blaudzsun war zu seiner gestrigen Verhandlung eigens aus Portugal angereist, wo er seit 1993 lebt und als Animateur für Neckermann-Reisen arbeitet. Sobald wie möglich will er die portugiesische Staatsbürgerschaft annehmen. „Wenn man erlebt hat, was ich erlebt habe, fragt man nicht mehr, warum“, sagte er. Der junge Mann war noch Bäckerlehrling, als er 1987 in der DDR den Wehrdienst verweigerte. Während seiner Zeit in DDR-Haft wurde er nach Angaben seines Anwaltes Wolfgang Kaleck mehrfach in einer kalten Zelle mit Handschellen an die Heizung gebunden. Nach der Wende bekam Blaudszun vom Kreiswehrersatzamt einen neuen Einberufungsbefehl. Er hielt diesen jedoch für einen Irrtum der Behörden, weil er seinen Wehrdienst mit der Verbüßung der Haftstrafe als abgegolten ansah. Statt einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung zu stellen, fuhr Blaudszun nach Portugal. Als er einmal kurz nach Deutschland zurückkehrte, wurde er festgenommen und für zwei Monate in U-Haft gesteckt.

Der Vorsitzende des Gerichtes regte gestern an, das Verfahren einzustellen. Doch die Staatsanwältin spielte nicht mit. Statt dessen versuchte sie dem Angeklagten noch eins draufzugeben, indem sie sechs Monate Haft auf Bewährung beantragte. Eine deutliche Strafe sei auch „zur Wahrung der Disziplin in der Truppe geboten“, meinte sie. Der Verteidiger forderte Freispruch. Blaudszun habe sich nicht strafbar gemacht, weil er gemäß Einigungsvertrag als anerkannter Kriegsdienstverweigerer gelte. „Wo keine Wehrpflicht bestand, kann man sich auch nicht entziehen.“ Das Gericht sah es offensichtlich als Akt der Milde an, daß es Blaudszun statt wegen vollendeter nur noch wegen versuchter Fahnenflucht verurteilte. Mit drei Monaten auf Bewährung ist das Ergebnis unter dem Strich jedoch das gleiche wie zuvor beim Amtsgericht. Kaleck kündigte Revision gegen das Urteil an. Plutonia Plarre

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