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Saturn und Atompilz

■ Museum für Kunst und Gewerbe: Fotoarbeiten von Klaus Elle

Zwischen den Vitrinen mit dem Hamburger Silber, im zweiten Stock des Museums für Kunst und Gewerbe, nehmen sich Klaus Elles Foto-Holzbalken-Skulpturen, die er „Hoffnungsträger“ nennt, wie stumpfes, archaisches Strandgut einer bereits verschollenen Kultur aus. Eine Mischung aus Kruzifixen, Galgenmännchen und Totempfählen, in deren spröden Holzkörpern kleine, quadratische Schwarz-Weiß-Fotografien eingelassen sind, stellen das Zentrum der Ausstellung Die Vergangenheit liegt vor uns dar.

An der Kreuzung von Quer- und Längsbalken, etwa in Blickhöhe, ein Auge, rechts und links daneben je ein Ohr. Darunter Fotografien von molekularen Strukturen, vergrößert bis zur Unkenntlichkeit, und von galaktischen Lichtkörpern, verkleinert bis zu fast schon blasphemischen Miniaturen.

Die zweite Figur trägt ein Saturnabbild auf Herzhöhe, flankiert von einem Atompilz und der Röntgenaufnahme eines Rückgrats. Elles kleine, mit Licht und Dunkelheit gemalte Fenster im Holz sind Fundstücke eines Sammlers, der einer verlorengegangenen Ganzheit, dem alten Körper-Seele-Dilemma, auf der Spur ist.

Als versuche er zu retten, was noch zu retten ist, demontiert er den menschlichen Körper in Sinnesorgane und tragende Skeletteile. Dann kittet er Übergänge zur vermeintlichen Sinnhaftigkeit mit den offensichtlichsten Untergangsikonen – von besagtem Atompilz bis zu Bildern des Jüngsten Gerichts – und Ritualutensilien aus anderen Kulturen, etwa afrikanisch anmutenden Gesichtsmasken. Nichts darf verlorengehen, alles muß Erinnerung werden, wo die Kamera die Katastrophe, das ebenso Vertraute wie Unbegreifliche oder wenigstens den Augenblick aufnimmt.

Der Fotograf, der ein Jahr vor dem Mauerfall von Leipzig nach Hamburg übersiedelte, steht unverkennbar in der Tradition der amerikanischen Fotografie aus der Zeit der 20er bis 40er Jahre, als mit Walker Evans' Ausschnitten des Pittoresken und Charles Sheeners rohen Oberflächenstrukturen Fotografen versuchten, der Realismuseuphorie der Fotografie nach der Jahrhundertwende den Weg zurück ins Ikonographische zu weisen.

Im hinteren Ausstellungsraum, den man durch ein vierfüßiges „Hoffnungsträger“-Tor betritt, trifft einen Elles melancholische, kulturelle Identitätssuche mit schon plakativer Wucht. Auf den übermalten Großfotos tritt einem trauerumflorter, unverhohlener Kulturpessimismus entgegen. Ein japanischer Bogenschütze schleudert seine Pfeile gegen eine atomare Explosion, eine koitierte Frau wird von kohlschwarzen, dicken Strichen betrauert, ein Embryo schlummert in einer Fruchtblase. Darunter befindet sich die Schädelentwicklung vom Ur- zum Jetzt-Menschen.

Vergleichsweise schüchtern und weniger auf eine vorschnelle Wirkung bedacht sind der „Augen“- und der „Hand-Baum“, dessen eiserne Äste in Augen- und Handflächen auslaufen, die unterschiedlich solarisiert wurden. Skelettierte Christbäume, mit denen der Mystiker Elle kultisch-heidnische Exorzismusinstrumentemit seiner „Suche nach dem großen Sinnbild“ kombiniert und gleichzeitig einen Bogen zum Ausstellungsanfang schlägt.

Birgit Glombitza

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