: Get ready to rumble!
■ betr.: „Die Schattenseiten des Job wunders“ von Claus Koch, taz vom 25.10. 96
Koch behauptet, die Gewerkschaften bräuchten mehr Reflexions- als Aktionstage, denn ihr Dilemma sei strukturell. Diese Erkenntis ist nicht so neu, sie wird und wurde von vielen Linken immer wieder in die Debatte gebracht. Aber in den Gewerkschaften wurde, genau gesehen, immer mehr reflektiert als aktioniert.
[...] Was haben die Vorstände nicht alles für Kongresse gemacht mit großen Reflexionshelfern in Form von Professoren und sonstigen Schwätzern, wie viele Konzepte sind der Reflexion entsprungen, zum Beispiel über lean-production und -management, die aus Japan kommend wie ein wirkliches Abrakadabra aufgeführt wurde und die Gewerkschaft hatte nichts Besseres zu tun als zu reflektieren, wie man dieses Zauberstück kapitalistischer Profitschneiderei positiv für die „Arbeitnehmer“ wenden könne. Indessen standen die Leute in den Betrieben vor ihren eigenen Problemen: Während Ende der siebziger Jahre in der Stahlindustrie die der Arbeitslosigkeit den Garaus machen sollende 35-Stunden-Woche angeschoben wurde, kämpften die Kollegen schon gegen die ersten Zumutungen des Rückbaus von in guten Zeiten erhandelter und auch (wie die Lohnfortzahlung) errungener Wohltaten.
In den 20 Jahren, die es gedauert hat, bis im Bereich der IG Metall die 35-Stunden-Woche erreicht worden ist, ist eine unablässige Suada seitens der Unternehmer auf die Gesellschaft niedergegangen, das Gerede von den zu hohen „Lohnnebenkosten“, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt. Es gibt nur Lohn, der, neben der monatlichen Zahlung, entweder als Jahreseinmalzahlung in Form von Urlaubs- und Jahresabschlußgeld gezahlt oder fürs Finanzamt einbehalten wird (so weit auch die ehemaligen Grundlehrgänge der IG Metall). Das Gerede war aber so wirkungsvoll, daß heute die Gewerkschaftsvorstände von hohen Lohnnebenkosten schwatzen. Gleichzeitig wurden gesamtgesellschaftlich unaufhörlich negative Veränderungen durchgesetzt (gegen Arbeitslose und Sozialfürsorgeempfänger u.a.).
Die Gewerkschaften haben das relativ widerstandslos hingenommen, in den Medien, die gerade in ökonomischen Fragen reagieren als wären sie gleichgeschaltet, kommen sie wie immer kaum zu Wort. Überdies hatten sie mit eigenen Skandalen zu kämpfen. So saß der von Koch als „perspektivisch“ denkender Kopf bezeichnete Zwickel jahrelang als stellvertretender Vorsitzender schweigend neben Steinkühler, der währenddessen durch seine finanziellen Kunststückchen den Ruf der IG Metall bis auf den Grund ruinierte. Doch die Gewerkschaften haben nichts dazugelernt. Heute gehen sie zu der gleichen faulen Taktik über, wie sie es immer getan haben. Nach einem scheinbaren Teilerfolg in der Frage der Lohnfortzahlung wird abgewartet. Im Februar, liebe Kollegen und Kolleginnen, werden wir dann aber streiken, denn dann dürfen wir, aber hoffentlich müssen wir nicht. Gott helfe, daß ein Kompromiß gelingt (durchgreifende Änderung der Berechnungsgrundlage und Lohnerhöhung 1,3 Prozent, also gleich Null, wenn es günstig ausgeht) und den bösen Streik – gottseidank – verhindert. Und so wird es weitergehen, Stück für Stück werden die Konditionen für die Lohnarbeit weiter verschlechtert werden. Der Standort (stillgestanden!) gebietet das.
Woher soll die von Koch geforderte Politisierung kommen, die immer dann gefordert wird, wenn jemandem scheint, so kann es nicht weitergehen? Wer sind die Subjekte, die das anstoßen, wie und mit welchem Ziel soll das gemacht werden? Sozialdemokratisiert sind die Gewerkschaften schon, sie spiegeln alle Fraktionen der SPD wieder. Sollen sie etwa noch ein bißchen begrünt werden? Zur Zeit ist nichts in Sicht, was irgendeinen Ausweg bietet. Die Diskussion um das neue Grundsatzprogramm wird kaum wahrgenommen, warum auch. Der Entwurf ist lachhaft. Es werden schlimme Zeiten kommen und keine Reflexion wird helfen. Klaus W. Kowol, Gummersbach
Wer ärgert mich da?
„Reflexionstage“ statt „Dauerkampfpose“! – Hätte er gern! Denken, wenn's ans Solidarisieren geht; Aktion, wenn die Urteilskraft kritische Unterstützung braucht: Im ersten Fall ärgert sich der intellektuelle Pfau über die Aufmerksamkeit für die Moral, im zweiten versucht er, ihr zuvorzukommen.
Wenn aber wir besser gesicherten, nicht betroffenen Intellektuellen Stimmen machen zu den Überlebenskämpfen unserer in der Existenz bedrohten Nachbarn, die eben nicht so gelungen ablaufen wie virtuelle Strategien aus dem Ledersessel, dann zählt für das Interesse der Betroffenen nicht unsere Intellektualität, von deren Genialität wir überzeugt sind, sondern allein das solidarische Bekenntnis.
„Aktionstage fänden mehr Zuhörer, wenn ...“ – Brauchen sie nicht, sondern TeilnehmerInnen! Nicht: Was redest du? sondern: Wie stehst du zu uns? – war in Ludwigshafen die Frage an den dozierenden katholischen Sozialethiker wie an die deutlicher schimpfende Kollegin. Und beide erhielten den gleichen Beifall aus der gleichen Quelle: dem in der Solidarität wieder möglichen Vertrauen in andere.
Auf „neue Wirklichkeiten“ pfeife ich, wenn es die alte Arbeitslosigkeit ist, was mich aus dem Leben drückt. Die höhere Einsicht, daß mein Elend nun einmal „zur Struktur der Marktgesellschaft“ gehört, geht mir so wenig in den Kopf wie in den Willen. Ja, wenn ich mich mit einem Zweidrittelbildchen von Gesellschaftsideologie einrichten wollte, wäre „politisch werden auf allen Ebenen der Gesellschaft“ spannend und ein harmloser Jux.
Aber, wenn ich „corporativ“ handle, weil ich mich nicht damit abfinde, daß echte Menschen in das Elend des Drittels der Gesellschaft unter den Fußabtreter gedrückt werden, erfülle ich den Mindestanspruch an meinen eigenen Überlebenswillen und an die Solidarität, ohne die ich „auf allen Kampffeldern der Gesellschaft“ ein Schwätzer außerhalb der eigenen Lebens„wirklichkeit“ bliebe.
Es ist wieder einmal Zeit für Intellektuelle, sich um die ernste Entscheidung nicht mehr herumzukauderwelschen: Geht mich die Angst der anderen etwas an und sehe ich deshalb bei meinen Kunst- und-Karriere-Kumpeln gar nicht mehr gut, eher gallig aus; oder suche ich mir ein anderes Publikum durch anderes Reden. Get ready to rumble!
Was soll das mit dem DGB- Grundsatzprogramm? Natürlich wissen wir Mitglieder davon. Aber wir müssen nicht alle daran herumbosseln! Es gibt auch Leute, die denken, daß es genügend persönlich betroffene Kolleginnen und Kollegen gibt, die gerade deshalb die passendere Antwort auf die Frechheiten (genannt Herausforderungen) der alten Ausbeuter mit den neuen Wirklichkeiten finden, als es eine Theorie je sein kann.
Und die Politik? – Hier wäre allerdings wieder Reflexion statt Aktion angesagt. Vor lauter politischem und lean-Management kommt sie nicht dazu, der Solidarität im alten BRTempo nachzuhinken. Da möchte ich denn auch mitmischen: nicht als Gewerkschafter, als der ich zu tun habe, sondern als Bürger, der sein Recht und seinen Willen begründet – und furchtbar gern intellektualisiert! Klaus Wachowski, Alzey
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen