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Mal die Coolness ablegen

Das erste Hamburger Jungenprojekt für junge Ausländer hilft bei der Ausbildungsvorbereitung – Selbstbewußtsein inklusive  ■ Von Knut Henkel

Daß sich ausländische Jungs in der Öffentlichkeit oft stark und selbstbewußt zeigen, täuscht über ihre spezifischen Problemlagen hinweg. Und während Projekte für ausländische Mädchen und Frauen seit Jahren mit Erfolg in Hamburg arbeiten, wie beispielsweise das ELLA-Frauenprojekt, gab es lange nichts Vergleichbares für Jungen. Im April eröffnete die Arbeiterwohlfahrt (AWO) mit finanzieller Unterstützung der Behörde für Schule, Jugend und Berufsbildung das erste Hamburger Jungenprojekt in Billstedt. Hier finden ausländische Jungen und junge Männer Hilfe und Beratung bei der Ausbildungsvorbereitung.

„Ihre Probleme fielen lange Zeit unter den Tisch“, sagt Sozialarbeiter Till Kobusch. Der 29jährige hilft im Jungenprojekt nicht nur bei der Suche nach Praktika und Lehrstellen. Seine Erfahrung zeigt, daß die Jungen „weniger als Mädchen ihre Zukunft planen, sich weniger mit ihren Stärken und Schwächen auseinandersetzen, zugleich aber unter stärkerem Erwartungsdruck von Verwandten in ihrer Heimat stehen“. Die hofften, daß die Jungen im reichen Deutschland erfolgreich sind, ohne zu wissen, daß es ihnen hier keineswegs leicht gemacht wird.

Zudem ist die Lage auf dem Hamburger Ausbildungsmarkt eng: Auf 100 Bewerber kamen gerade mal 39 freie Ausbildungsplätze, bilanziert das Arbeitsamt. Jugendliche ausländischer Herkunft, die zwischen zwei Kulturen leben, haben dabei besonders schlechte Karten. Sie können sich seltener auf Hilfestellung ihrer Eltern verlassen, die oft wenig über das deutsche Ausbildungssystem wissen und auch nicht immer Bewerbung oder Lebenslauf korrigieren können. Eine weitere Hürde sind die noch immer herrschenden Vorbehalte in Ausbildungsbetrieben.

Zunächst mußte Kobusch Kontakte knüpfen: „Die Jungs kommen schließlich nicht von allein.“ Also ging er durch Schulen und Häuser der Jugend, sprach mit Lehrern. Neben dem Arbeitskreis Jungenarbeit Hamburg warben auch die Mädchen von ELLA, indem sie ihren Brüdern von dem Projekt erzählten. Mittlerweile haben die 13- bis 20jährigen ihre Schwellenangst abgelegt. „Manche kommen täglich vorbei, um sich zu unterhalten, schreiben fast nebenbei dann noch eine Bewerbung für ein Praktikumsplatz und haben ihre übertriebene Coolness, mit der sie hier anfangs aufliefen, lange abgelegt“, erzählt Kobusch. „Hier müssen sie nicht vor den Mädchen posieren, und sie wissen, daß ihnen bei der Suche nach einer Ausbildungsperspektive geholfen wird.“ 33 Jugendliche kommen derzeit regelmäßig, um an der Schularbeitenhilfe teilzunehmen, die von zwei Honorarkräften in nahezu allen Fächern angeboten wird, oder sich in Ausbildungsfragen beraten zu lassen. Dazu müssen die Jungen oft erstmal herausfinden, wo ihre Stärken liegen und was ihnen Spaß machen könnte.

Kobusch, der eng mit Arbeitsämtern und Ausbildungsfirmen zusammenarbeitet, versucht das Selbstbewußtsein der Jungen zu stärken und Berufswünsche zu wecken. Im zweiten Schritt unterweist er sie im Schreiben von Bewerbung und Lebenslauf. Vorstellungsgespräche werden mit anschließender Fehleranalyse per Videoaufzeichnung geübt. Er erläutert Berufsbilder, informiert über berufliche Aufstiegschancen und das Angebot weiterführender Schulen.

Erste Erfolge haben sich bereits eingestellt. Der Kreis der Jugendlichen, die regelmäßig ins Jungenprojekt kommen, wächst. Einige konnten ihre schulischen Leistungen verbessern, andere haben sich erfolgreich um Praktika beworben. Der 18jährige Pawan zum Beispiel hat gerade seine Ausbildung zum Konditor begonnen. Aufkommenden Frust, wenn wieder mal eine Absage eintrudelt, bekämpft Kobusch mit dem Hinweis auf seine eigenen Erfahrungen. Nach seinem Studium hatte er erst mit der 51. Bewerbung Erfolg. Nun wächst dem Familienvater die Arbeit im Jungenprojekt fast über den Kopf, denn „mittlerweile gibt es genug Arbeit für zwei, und in unserem Einzugsgebiet, dem Hamburger Osten mit einem überdurchschnittlich hohen Anteil an sozial schwachen und ausländischen Familien, gibt es viel zu tun“.

AWO-Jungenprojekt, Legien-straße 45, 22111 Hamburg, % 732 46 29, Mo – Do 10.30 – 17.30 Uhr.

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