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Der Mann, der keine Fehler macht und sie erst recht nicht zugibt

■ Arminia Bielefelds Trainer Ernst Middendorp sieht sein Schicksal nicht mit dem heutigen Spiel gegen Fortuna Düsseldorf verknüpft

Bielefeld (taz) – Der Rechtsanwalt Hans-Hermann Schwick aus Bielefeld ist fußballsachverständig. „Gegen Düsseldorf wird es wahnsinnig schwierig“, fürchtet Arminias Vereinschef, „weil die sich hinten reinstellen.“ Und da das Spiel seiner Truppe heute gleichzeitig wahnsinnig wichtig ist, wenn man es sich nicht auf Dauer im Tabellenkeller gemütlich machen will, hat Schwick seinen Trainer Ernst Middendorp am Mittwoch mit den Lizenzspielern in ein Trainingslager nach Herzlake fahren lassen. Wie schon vor der Saison. Wie schon vor dem gewonnenen Spiel gegen Werder Bremen.

„Die Bundesliga ist ein gnadenloses Geschäft“, hat Middendorp selbst wissen lassen, als er damals in Herzlake seine drei Kicker Sonny Silooy, Armin Eck und Peter Quallo aussortierte, um Uwe Fuchs, Matthias Breitkreutz und Günther Schäfer zu integrieren. Inzwischen muß er selbst auf Gnade hoffen oder den Erfolg seiner Mannschaft, auch wenn der Manager Rüdiger Lamm ungefragt vor laufenden Fernsehkameras den Übungsleiter bestätigt und der Präsident ihm den Rücken stärkt, „denn Erfolge hat er ja gehabt und seine Leistungsfähigkeit unter Beweis gestellt“. Die Statistiker bestätigen den Vorstand: Die Darmstädter Sportwissenschaftler Roland Singer und Christoph Breuer haben aus 30 Spielzeiten und 222 Trainerentlassungen analytisch erschlossen, daß einem trainertreuen Verein letztendlich sogar mehr Erfolg beschert ist.

Dennoch ist der Trainer in Bielefeld unter mächtigen Beschuß geraten. Die lokale Neue Westfälische hat unlängst bereits festgestellt, daß Middendorp „im Oberhaus gescheitert ist“. Und selbst aus dem Kreise seiner Schützlinge dringt Kritik nach außen. Immer wieder ändere er die taktische Ausrichtung, und gegen Dortmund habe Middendorp seine Abwehr eine Woche lang darauf gedrillt, bei Flanken besonders auf den langen Pfosten zu achten. Weil auch alle Anweisungen des Keepers Stein im Spiel nicht halfen, krachte es zweimal vorne, wo man den Pfosten „kurz“ nennt.

Ohne eigene Erfahrung als Bundesligaspieler, aber mit Trainerstationen in Freren, Lingen, Rheine, Alstätte im Rücken und vom DFB erst Anfang Oktober mit dem Fußball-Lehrer-Schein ausgestattet, achtet Middendorp sorgsam auf die Autoritätswahrung. „Wenn du Schwächen zeigst“, meint er, „ziehen sie dich übern Tisch.“ Als reichten Fleiß und Fähigkeit nicht, demonstriert er nach außen eine Selbstherrlichkeit, die an Arroganz zu grenzen scheint, aber lediglich die Unsicherheit auf dem neuen Terrain kaschieren soll. Da ließ er den erfahrenen Torjäger Fritz Walter in der 2. Liga vor versammelter Mannschaft ebenso strammstehen wie unlängst den jungen Reina.

Die Disziplinierungsbemühungen regieren bis in die Mannschaftsaufstellung hinein. Weil der Stürmer Reina nach seinem gelungenen Hamburg-Einsatz freudetrunken erklärt hatte, endlich auf seiner Lieblingsposition eingesetzt worden zu sein, strafte Middendorp die Insubordination kaum zum Wohle der Mannschaft: Gegen Köln mußte der arme Reina so lange zusehen, bis die Partie verloren war. Gegen Dortmund eine Woche darauf war er wieder der beste Mann. Auf den wackeren Vertragsamateur Stefan Studtrucker hingegen, dem bei jedem neuen Kurzeinsatz in Deutschlands höchster Liga von neuem die Grenzen aufgezeigt werden, greift Middendorp gerne zurück, nur weil der Kicker Gehorsam demonstriert.

Als könnte ihn ein Fehler den Kopf kosten, gesteht Middendorp trotzig in Sturkopfmanier keinen einzigen ein und addiert so jedesmal einen weiteren. Zuweilen kommt dem engagierten Coach dann auch die Souveränität abhanden. Als Torwart Stein nach dem Köln-Kick am Sonntagmorgen übernächtigt und verspätet zur Videoanalyse erschien, ließ Middendorp sich zum Amüsement des Kaders in eine lautstarke Auseinandersetzung verwickeln.

Die Sensibilität, der er im öffentlichen Umgang mit seiner Person einfordert, läßt er selbst bei der Arbeit vermissen. Den Spielern Eck, Silooy und Quallo gab er kurzerhand unter vier Augen zu verstehen, er sehe keine Verwendung mehr für sie. Anschließend zur Rechenschaft gezogen, weil durch die Veröffentlichung der Marktwert der Spieler fahrlässig reduziert wurde, nominierte er in Dortmund Silooy und Quallo prompt wieder, ließ allerdings einen Platz auf der Ersatzbank lieber frei, als den einsatzbereiten Eck mitzunehmen, weil der „seine Sache nur gegenüber den Medien mit der nötigen Konstanz“ betreibe.

Während Manager Rüdiger Lamm ankündigt, bei einem Rauswurf Middendorps solidarisch mitauszusteigen, und jener selbst heute gegen Düsseldorf „kein Schicksalsspiel“ zu erkennen vermag, formiert sich Widerstand gegen den Coach. Der Schatzmeister Helmut Kerstingjohänner etwa, bei der Verpflichtung einst ein glühender Verfechter des jungen Trainers, gesteht inzwischen ein, „daß es ein Fehler war, seinen Vertrag kurz vor der Saison bis 1999 zu verlängern“. Andererseits dürfe das nicht den Vereinszielen im Wege stehen. „Arminia“, sagt Kerstingjohänner, „hat schon so viel Geld in den Wind gesetzt“ – da, läßt er unausgesprochen, komme es selbst angesichts akuter Liquiditätsprobleme auf eine Abfindung mehr oder weniger auch nicht an. Jörg Winterfeldt

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