: Milošević vor einem neuen Erfolg
Morgen wählen Serben und Montenegriner das gemeinsame Bundesparlament. Noch sind die Chancen für die Oppositionsparteien in Serbien gering, gegen die Sozialisten zu bestehen ■ Von Erich Rathfelder
Unmittelbar braucht der starke Mann Serbiens vor den morgigen Wahlen Sonntag nichts zu befürchten. Denn gewählt werden lediglich die Parlamente der Föderation aus Serbien und Montenegro, also der Bundesrepublik Jugoslawien und des Teilstaates Montenegro, nicht aber das Parlament Serbiens. Und dennoch sind diese Wahlen ein wichtiger Test, der über das Schicksal Milošević' entscheiden kann. Denn im Dezember 1997 muß er nach der serbischen Verfassung den Präsidentensessel Serbiens räumen. Um aber statt dessen Präsident der Bundesrepublik Jugoslawien zu werden, braucht er eine Mehrheit im Bundesparlament. Also wurden von ihm und seinen Freunden im Wahlkampf alle politischen Register gezogen, um eine Milošević-treue Mehrheit im Bundesparlament zu sichern.
Wie in allen autoritär geführten Staaten der nachkommunistischen Ära wurden nicht nur die Massenmedien zu diesem Zweck eingespannt, sondern auch Parteien und Parteienbündnisse gezimmert. So hat die Sozialistische Partei Serbiens, die Milošević anführt, in der Jugoslawischen Linken (JUL) einen loyalen Bündnispartner gefunden. Denn diese 1995 gegründete Partei wird von der Ehefrau Milošević', Mirjana Marković, angeführt und stützt sich vor allem auf Offiziere in der Armee. Und weiterhin gehört zu einer solchen Strategie, die Oppositionsparteien einzuschüchtern, wichtige Kandidaten durch Polizei oder Geheimdienste aus den Verkehr zu ziehen oder den Spitzenleuten der Opposition den Schneid abzukaufen. So wurde ein Gewerkschaftsfunktionär, der für die Oppositionsliste „Zajedno“ kandidiert, festgenommen. Oder der Spitzenkandidat der Opposition zum Aufgeben überredet. Dragoslav Avramović war nämlich im September drauf und dran, Slobodan Milošević in der Gunst der Wähler zu überholen. Der populäre 78jährige Chef der Zentralbank, dem es gelungen war, die Hyperinflation zu reduzieren und den 1995 eingeführten Neuen Dinar zu einer relativ stabilen Währung zu machen, erklärte am 10. Oktober plötzlich seinen Rücktritt als Oppositionsführer. Insider vermuten, daß Avramović nicht nur durch Milošević selbst unter Druck gesetzt wurde, sondern auch durch führende westliche Diplomaten. Vor seiner Entscheidung soll er sich in der US-amerikanischen und der deutschen Botschaft beraten haben. Es ist kein Geheimnis und auch in Zagreb und Sarajevo zu beobachten, daß beide genannten Länder an sogenannten stabilien Führungen in Serbien und Kroatien interessiert sind. Beide Länder setzen wie die Mehrheit auch anderer europäischer Mächte auf Milošević und Tudjman und nicht auf die Oppositionspolitiker dieser Länder.
In der Tat bot die serbische Opposition noch vor wenigen Monaten ein trauriges Bild. Ohne Kampfeswillen und Selbstvertrauen, in unterschiedliche Lager zerfallen, hatte sie schon seit ihrem letzten Aufbegehren im März 1992 kaum noch an ihre Chance geglaubt. Schillernde Führer wie der Chef der Serbischen Erneuerungsbewegung, Vuk Drasković, der zu Beginn des Krieges zum Lager der radikalen Nationalisten zu rechnen war, sich später als moderater Demokrat gab, von Milošević' Schergen halb totgeschlagen wurde, dann wiederum mit dem starken Mann kollaborierte, tragen in der Tat nicht gerade dazu bei, das Vertrauen in die serbische Opposition zu erhöhen.
Lediglich der ehemalige Habermas-Schüler und Vorsitzende der Demokratischen Partei, Zoran Djindjić, hat in den Zeiten des Krieges nicht gänzlich seine Glaubwürdigkeit eingebüßt, wenngleich er im Winter 1994 demonstrativ nach Pale fuhr, um Karadžić angesichts angedrohter Nato-Luftangriffe zu unterstützen. Auch die Menschenrechtlerin Vesna Pesić als Spitzenkandidatin der Bürgerallianz (GSS) ist durchaus eine honorige Persönlichkeit. Die Abspaltung der Demokratischen Partei, die „Demokratische Partei Serbiens“ unter Vojislav Kostunica, ist die vierte Gruppierung, die das Oppositionsbündnis „Zajedno“ stützt. Es fällt jedoch schwer, sich dieses Bündnis als regierende Partei vorzustellen, zu unterschiedlich sind seine Strömungen und Persönlichkeiten. Allein ein Mann wie Avramović hätte das Zeug gehabt, aus diesem Bündnis, das ja noch mit immerhin 35 Prozent der Stimmen rechnen kann, eine politisch ernst zu nehmende Kraft zu machen. Mit seinem Rücktritt jedoch scheint der Weg frei zu sein für die Sozialisten. Milošević hat gute Chancen, trotz sinkender Popularität und trotz der steigenden Unzufriedenheit in der Bevölkerung nochmals zu siegen. Dazu tragen auch die Albaner des Kosovo bei, die, nach den Aufrufen ihrer politischen Repräsentanten zu schließen, die Wahlen für das jugoslawische Parlament boykottieren werden. Die weit über eine Million albanischer Stimmen könnten der Opposition tatsächlich den nötigen Rückhalt geben. Die Führung der Albaner jedoch würde bei einem Aufruf zur Teilnahme an den Wahlen ihre politische Linie, die sie seit Jahren beibehalten hat, völlig verändern. Denn eine Teilnahme käme einer Anerkennung der Bundesrepublik Jugoslawien und damit der Hinnahme des Apartheidsystems im Kosovo gleich. In der jetzigen Form, ohne die 1989 aberkannten Autonomierechte zurückerhalten zu haben, können die Albaner diesen Schritt nicht tun. Trotz oder gerade wegen der Gespräche des kosovo-albanischen Parteiführers Ibrahim Rugova mit Milošević, die in den letzten Monaten geführt worden sein sollen, muß Rugova bei seiner Entscheidung bleiben. Der Boykott der Albaner kommt aber ausgerechnet Milošević zugute.
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