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Spenden gegen den Tornadolärm

Am Sonntag wird zum 40. Mal am geplanten Bombenabwurfplatz Wittstocker Heide in Brandenburg demonstriert. Im Kreis bröckelt derweil die Unterstützung für eine Berufungsklage  ■ Von Severin Weiland

Berlin (taz) – Für den Pfarrer Benedikt Schirge aus dem brandenburgischen Dorf Zühlen ist die westdeutsche Juristerei auch im sechsten Jahr der Einheit noch immer ein Mysterium. In diesen Wochen hat der 35jährige wieder einmal eine ganz profane Erfahrung gemacht: Der Rechtsstaat kann manchmal eine recht teure Angelegenheit sein. Schirge ist Sprecher der Bürgerinitiative „Freie Heide“. Seit vier Jahren kämpft er mit Gleichgesinnten gegen den geplanten Bombenabwurfplatz Wittstocker Heide.

Derzeit ist die Initiative auf Betteltour: 150.000 Mark gilt es zusammenzubringen, um eine Berufungsklage des Kreises Ostprignitz-Ruppin, plus einzelner Gemeinden und Einzelpersonen, vor dem Oberverwaltungsgericht in Potsdam einzulegen. Schon das erste Verfahren vor dem Verwaltungsgericht samt Anwaltskosten hatte den Kreis 170.000 Mark gekostet. Immerhin war den Gegnern ein Teilerfolg geglückt. Zwar wurden von 16 Einzelklagen 13 abgewiesen und der Bundeswehr die weitere Nutzung des einstigen sowjetischen Übungsplatzes zugestanden. Doch in drei Fällen – bei den nur einen Kilometer vom Gelände entfernt liegenden Gemeinden Gadow, Rossow und Schweinrich – wurde sie zu einem förmlichen Planfeststellungsverfahren verpflichtet.

Für viele westdeutsche Kommunen mag diese jetzt für ein Berufungsverfahren aufzubringende Summe ein Klacks sein, für die Brandenburger hingegen nicht. „Wir sind arm wie die Kirchenmäuse“, sagt der bündnisgrüne Kreistagsabgeordnete Wolfgang Freese. Über 20 Prozent Arbeitslosigkeit, drückende Schulden – der Landstrich ist auf jede Mark angewiesen, will er „den ungleichen Streit mit der Bundeswehr aufnehmen“, so Schirge. Schließlich hatte das Verteidigungsministerium in Bonn schon Ende August nach dem Ausgang des ersten Rechtsstreits vor dem Verwaltungsgericht die Berufung angekündigt. Jetzt gilt es gleichzuziehen, auch wenn die Kosten weh tun.

Sollte aber die Bundeswehr ihre Berufungsklage gewinnen, ist es mit der Ruhe vorbei. 3.000mal im Jahr, so die Berechnungen der Bombodrom-Gegner, würden die Tornado-Kampfflieger über das Gebiet donnern. Nicht nur für den Tourismus wäre dies fatal, weiß der Bündnisgrüne Freese. Bonn hingegen gibt sich bedeckt. Hier wird gern auf angeblich 30.000 Flüge zu Zeiten der sowjetischen Nutzung verwiesen.

Die Chancen, daß der Kreis Ostprignitz-Ruppin trotz aller Schwierigkeiten vor das Oberverwaltungsgericht zieht, stehen nach wie vor gut. Auch wenn die bisherige Front der Gegner Risse bekommen hat. Jüngst erst fiel die CDU-Fraktion im Kreistag um und schloß sich dem Votum der Bundeswehr-Befürworter im CDU-Vorstand an. Man habe sich durch Gutachten überzeugen lassen, daß die zweite Klage keinen Erfolg haben werde, lautete ihre Begründung.

Noch ist, selbst ohne die Christdemokraten, eine Mehrheit im Kreistag für die Berufungsklage sicher. Jüngst erreichte die Kreistagsabgeordneten ein Bettelbrief des Landrats von Ostprignitz-Ruppin, Christian Gilde (SPD), eines vehementen Bombodrom-Gegners. Dessen Engagement stößt nicht überall im Kreis auf Gegenliebe. Allen voran der Bürgermeister von Wittstock, Lutz Scheidemann (FDP), hält die Berufungsklage für unsinnig. Weil im sozialen und kulturellen Bereich weiter gekürzt werden müsse, dürfe der Kreis kein Geld für „nicht zu gewinnende Klagen“ ausgeben.

Scheidemann will die Bundeswehr lieber heute als morgen vor Ort haben. Er erhofft sich Millioneninvestitionen, ein Ausbildungsbataillon der Luftwaffe und 200 zivile Arbeitsplätze vor Ort. Den Gegnern, so sein Vorwurf, gehe es mittlerweile doch nicht mehr um den Übungsplatz, sondern um die Abschaffung der Bundeswehr.

Nur eines verbindet Befürworter und Gegner des Bombenabwurfplatzes. Optimistisch sind sie beide. Es ist wohl kein Zufall, daß zwei Initiativen mit dem selben Zusatz beginnen: „Pro Bundeswehr“ und „Pro Heide“.

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