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Die gute Not mit der Nähe

■ Theater am Wochenende: „Hautnah“ auf Kampnagel, „Viva La Mamma“ im neuen Allee-Theater und „Alles. In einer Nacht.“ in den Kammerspielen

Hautnah

Wie seit einiger Zeit zu beobachten ist, besteht in den unterschiedlichen Disziplinen der Kunst sowie in theoretischen Diskursen der Wunsch, Öffentlichkeit und Privat-heit neu zu definieren. Authentizität ist gefragt, Introspektion salonfähig mit dem Ziel, Verbindlichkeiten herzustellen im überschaubaren Mikrokosmos. Die Performance Hautnah, die seit Sonnabend auf Kampnagel läuft, geht hier einen eigenen Weg, will ganz nah dran sein und inszeniert ein Künstler-Besucher-Blind-Date.

Bei seichter Musik und Bar-Ambiente werden die Gäste auf eine Reihe von Bildern aufmerksam gemacht, die Entscheidungshilfen über die zehn individuell wählbaren Performances geben sollen. Da die Bilder eher an wilde Auswürfe einer Kunsttherapie erinnern, fällt die Wahl nicht leicht. Einige Besucher entscheiden da lieber unter dem Aspekt der Lieblingsfarbe.

In einem Aufenthaltsraum begegnet man dann der Person seiner Wahl und handelt einen Preis für die folgende Soloperformance aus. Die Preise scheinen festgelegt zu sein, unter zwanzig Mark macht es kein Performer. Nach Geschäftsabschluß breitet sich plötzlich eine seltsam sakrale Stimmung aus. Gehorsam folgt man der Aufforderung zu schweigen, zieht die Schuhe aus und gelangt mit Hilfe des Performers in den entsprechenden Raum. Hier ist alles unerträglich hell und heilig, und nach wenigen Minuten ritualisierten Tanzes fragt man sich, ob es die Intention des Choreografen Felix Ruckert ist, die Zuschauer zu besseren Menschen zu machen?

Durch Blick- und Körperkontakt soll eine scheinbare Nähe hergestellt werden, die an Kontaktimprovisationen eines Selbstfindungs-Theaterworkshops erinnert und nichts als eine zwanghafte Atmosphäre schafft. Nach circa 15 Minuten kehrt man deshalb erleichtert zurück an den Nebenschauplatz Bar und erwärmt sich an den Diskussionen über ein unverschämtes Preis-/Leistungsverhältnis mit sehr langweiligen Nummern.

Claude Jansen

Viva la Mamma

Passend zum geänderten Ladenschlußgesetz herrschen seit dem 1. November auch im Theater für Kinder neue Öffnungszeiten. Die Theaterleiter Uwe und Barbara Deeken öffnen nun auch abends die Pforten und wollen mit Kammeropern und barocken Lustspielen die großen Kinder ins Haus locken. Sinniger Name der Neueröffnung: Allee Theater. Die Eröffnungspremiere am Freitag warf aber auch die Frage auf, ob die hamburgische Kulturlandschaft mit solch operettenhaft operierendem Angebot wirklich prachtvoller blühen wird.

Auf dem Programm stand mit Viva La Mamma eine „burleske Oper“ von Donizetti. Darin geht es um die Zwistigkeiten, Intrigen und Pannen eines Theater-Ensembles bei den Proben zu einer Oper. Dem Regisseur von Viva La Mamma, Manfred H. Wenninger, schien es aber weniger um das Ausreizen des selbstbezüglichen Spannungspotentials zu gehen als um die grelle Hervorhebung des Klamaukigen. Das Resultat war eine Art Ohnsorg-Theater mit Gesang.

Diese war jedoch großenteils recht unterhaltsam. Komödiantisches Talent bewies dabei vor allem Ude Krekow, der die Rolle der Mama als penetrant intrigantes Trampeltier überzeugend darbot. Manch netter Spaß ergab sich auch aus dem Text, den Barbara Hass mit zahlreichen Wortspielen und Hamburg-Referenzen versehen hatte. Dann aber bewegten sich die Szenen wieder schmerzlich an der Grenze zum lauwarmen Slapstick, und die gut zweistündige Inszenierung hatte einige Längen und Plattheiten zu verkraften.

Das reizende, rot-goldene Ambiente des neugestalteten Allee Theaters mochte da zuweilen sehenswerter erscheinen als die in ihm inszenierte Posse. Und das, obwohl ein angenehm reduziertes, fünfköpfiges Kammerorchester und Sangesdarbietungen, die eher zu loben denn zu bemängeln waren, eigentlich keine so schlechten Ausgangsbedingungen darstellten.

Das Allee Theater bleibt mit Viva La Mamma gewissermaßen dem Theater für Kinder treu: Unterhalten wird das Kind im Erwachsenen. Und dafür gab es zum Schluß großen Jubel.

Christian Schuldt

Alles. In einer Nacht.

Ein behutsamer Beginn: Eine Frau (Marie Bäumer) sitzt im dunklen Hotelzimmer, allein mit ihrem gepackten Koffer. Sie wartet auf den Geliebten. Vergebens. Seit drei Tagen ist das Leben der anderen Hotelgäste ihr einziges Erlebnis. Die Frau bricht aus. Die Großstadt-Odyssee beginnt mit dem erklärten Ziel: Alles. In einer Nacht. Regisseur Falk Richter liefert mit seiner gleichnamigen Inszenierung in den Kammerspielen nach zuletzt Silikon eine weitere Interpretation zum Lebensgefühl einer Generation X. Sein hohes Ziel, den gewohnten Theaterrahmen zu sprengen, geht dabei leider gehörig baden.

Das Bühnenbild wird zu einer großen Leinwand umfunktioniert. Darauf übergroß und lange projiziert: das Portrait der schönen Marie Bäumer. Sie darf alleine zeigen, was sie alles kann: Sie tanzt hinter Parkhaus-Projektionen, einer ambitionierten Ballett-Elevin gleich, sie thront auf ihrem Koffer und begleitet ihre herzzerreißende Eigenkomposition „O, Caro Mio“ auf dem Akkordeon. Um Kostümwechsel der Darstellerin zu überbrücken, werden Großstadtimpressionen, untermalt von zu gefälligen Pop-Geräusch-Klang-Collagen (Musik: Carsten Dane), eingeblendet – und dann stolpert sie schon wieder herein, eine besoffene Diva mimend. Schließlich geht es hier um Rausch.

Ihre bange Frage: „Wer bin ich jetzt eigentlich?“ läßt sich leicht beantworten: des Regisseurs liebstes Kind. Man wird den Eindruck nicht los, daß Richter aus lauter Bewunderung für seine Darstellerin komplett den Faden verloren hat und Marie Bäumer bereitwillig eine Spielwiese für ihre Bühnenwirksamkeit geschaffen hat.

So erschöpft sich die Inszenierung in Videoclip- und Modemagazin-Ambiente und erreicht bestenfalls das Niveau einer schlechten Nummernrevue. Gewollt? Wie auch immer. Diesen Abend sollte man schnell vergessen.

Ulrike Sewing

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