: Besetzte Häuser: Kein bißchen Frieden
■ Über 3.000 Teilnehmer demonstrierten gestern gegen die Räumungspolitik von Innensenator Schönbohm und die Entsolidarisierung der Besetzerszene. Im Anschluß kam es zu Ausschreitungen
„Der Senat hat ein Räumungsmoratorium des Bezirks mißachtet und sich somit nicht mehr an demokratische Spielregeln gehalten“, wurde über den Lautsprecherwagen verkündet. Die Hausbesetzer, so lautete die Folgerung, müßten dies nun auch nicht mehr tun. Der Sprecher forderte dazu auf, gegen die Räumungspolitik von Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) das Kriegsbeil auszugraben. Jede Form des Widerstands sei nun wichtig.
Neben den besonnenen gab es bei der gestrigen Demonstration gegen die jüngsten Räumungen auch unmißverständliche Töne. Unter dem Motto „Für den Erhalt alternativer Lebensformen und gegen den Haupstadtwahn“ zogen am Nachmittag etwa 3.000 Menschen von der Frankfurter Allee zum Kottbusser Tor. Im Anschluß an die Demo kam es zu Ausschreitungen, die bei Redaktionsschluß noch andauerten.
Zu Beginn der Demonstration folgten die Teilnehmer allerdings dem Aufruf der Veranstalter, sich nicht von der Polizei provozieren zu lassen. Im direkten Umfeld der Demonstranten hatte sich die Polizei auffällig zurückgehalten. In den Seitenstraßen hatte sie jedoch massiv Einsatzkräfte und auch Räumfahrzeuge und Wasserwerfer zusammengezogen.
Über Lautsprecherwagen wurde die Räumungspolitik von Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) scharf kritisiert. Unter dem Deckmantel der Demokratie würden Andersdenkende aus der Stadt vertrieben, kritisierte ein Sprecher. Schönbohm lasse sich davon auch nicht durch Sympathiebekundungen für die Hausbesetzer abbringen. Auf der Abschlußkundgebung befürchtete eine Sprecherin, Schönbohm werde auch vor den legalisierten Hausprojekten nicht haltmachen. Dabei sei jedes besetzte Haus ein deutliches Zeichen gegen den Hauptstadtwahn. Sie rief daher zu „phantasievollen Aktionen auf“. Die jüngsten Räumungen seien nur möglich gewesen, weil der Entsolidarisierung nichts entgegengesetzt worden sei.
Viele der Demonstranten zeigten sich positiv überrascht von der großen Zahl der Teilnehmer. Nach den Räumungen in den vergangenen Monaten waren kaum mehr als 400 Demonstranten auf die Straße gegangen. „Anscheinend muß man erst Straßenbahnen anzünden, um die Leute aufzuwecken“, sagte ein Teilnehmer. Der Anschlag auf die Straßenbahn wurde allerdings unterschiedlich aufgenommen. Einige kritisierten die unmittelbare Nähe des Anschlags zu den geräumten Häusern in der Kreutzigerstraße. Andere meinten, hier sei das falsche Objekt getroffen worden.
Eine halbe Stunde nach Auflöung der Demonstration stürmte die Polizei den Platz am Kottbusser Tor, auf dem sich noch mehrere hundert Personen befanden. Die Demonstranten warfen Flaschen gegen Polizeibeamte. Es kam zu mehreren Festnahmen. Gereon Asmuth
siehe Bericht Seite 4
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