: Molotowcocktails gegen das Saubermann-Image
■ Berliner Demonstration gegen Räumungen. Straßenbahn in Brand gesteckt
Berlin (taz) – „Wohnungen statt Schönbohm“ – unter diesem Motto haben gestern im Berliner Bezirk Friedrichshain etwa 3.000 Anhänger der Hausbesetzerszene gegen die Räumung dreier Häuser am vergangenen Dienstag demonstriert. Nach der friedlichen Demonstration kam es am Abend im Bezirk Kreuzberg zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Mehrere Personen wurden festgenommen. Die Demonstranten warfen Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) unter anderem vor, mit seinem „Sauberkeitswahn eine neue Stufe der Eskalation“ hervorgerufen zu haben.
Zehn Häuser hat der Exgeneral seit seinem Amtsantritt im Januar räumen lassen. Daß Schönbohm bei der „Lösung der Besetzerfrage“ mitunter auch laufende Vertragsverhandlungen ignoriert, zeigte das jüngste Beispiel der Kreutzigerstraße 21. Deren Bewohner befanden sich in Kaufverhandlungen mit der Eigentümerin und wurden bei der Suche nach einer friedlichen Lösung vom Friedrichshainer Bezirksparlament unterstützt. Für die Kommunalpolitiker stellen die Räumungen deshalb eine „Brüskierung“ dar.
Nachdem die ersten Räumungen des Innensenators keine größeren Proteste hervorgerufen haben, hat die Torpedierung einer Verhandlungslösung in der Kreutzigerstraße die Wogen in der geschrumpften Berliner Besetzerszene noch einmal hochschlagen lassen. Am Freitag ging in der Boxhagener Straße, unweit der Kreutzigerstraße, eine Straßenbahn in Flammen auf. 20 bis 25 Vermummte hatten nach Polizeiangaben die Bahn gestürmt, zehn Fahrgäste zum Verlassen gezwungen und kurz darauf den Wagen angezündet. Außerdem seien Bauwagen auf die Straße geschoben und Müllcontainer abgefackelt worden. Bereits in der Nacht zum Donnerstag hatten Unbekannte einen Anschlag auf eine Mercedes- Verkaufsfiliale in Charlottenburg verübt. Dabei wurden sieben Luxuskarossen beschädigt. Zwei Brandsätze, die in die Fahrzeuge geschleudert wurden, zündeten nicht. Der Sachschaden betrug etwa 100.000 Mark.
Schönbohm hat unterdessen angekündigt, seinen harten Kurs fortzusetzen. „Wenn ich jetzt meine Politik ändern würde, würde mir das als Schwäche ausgelegt werden“, sagte er auf einer improvisierten Pressekonferenz nach dem Brandanschlag auf die Straßenbahn. Nach Angaben des Innensenators seien noch immer acht Häuser im Ostteil der Stadt besetzt.
Ob die friedliche Verhandlungslösung tatsächlich noch möglich sein wird, darf bezweifelt werden. Selten war es für einen Law- and-order-Politiker so einfach, seine Vorstellungen umzusetzen, wie für Schönbohm. Die ehedem kritische Öffentlichkeit der Stadt ist weitgehend verstummt.
Angesichts der Milliardenlöcher im Landeshaushalt gilt ein poliertes Hauptstadt-Image für die Große Koalition derzeit als einziger Hoffnungsschimmer. Auch hier hatte Schönbohm die Parole vorgegeben: „Berlin“, sagte er anläßlich der Räumung der beiden letzten besetzten Häuser in Westberlin im August, „ist nicht mehr nur die Summe seiner Kieze. Berlin repräsentiert auch das Ansehen Deutschlands in der Weltöffentlichkeit.“ Uwe Rada
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