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Visionen auf die Schiene gesetzt

■ Hamburger Architekten planen mit der Bundesbahn die Zukunft der Innenstädte und stellen dies in Venedig aus

Endlich weiß die ganze Welt, wie die Deutsche Bundesbahn sich am Altonaer Bahnhof versündigt hat – zumindest die Welt, die sich bei der Architektur-Biennale in Venedig die deutsche Sonderausstellung Renaissance der Bahnhöfe angesehen hat. Denn die vom Hamburger Architekten Meinard von Gerkan entworfene große Themenshow stellt Hamburgs westlichen Fernbahnhof als das abschreckende Beispiel für die Kul-turlosigkeit der Bahn in den vergangenen fünfzig Jahren aus.

Denn nicht genug, daß der schöne gründerzeitliche Bahnhof 1978 ohne Not durch ein grausiges Kaufhaus ersetzt wurde, hatte auch die neue Bahn in den letzten Jahren nichts Besseres zu tun, als den verbliebenen Charme durch ein backsteinernes Hochsicherheitshotel zu vertreiben.

Doch nicht allein durch diese Randnotiz ist die Ausstellung mit dem pathetischen Untertitel „Die Stadt im 21. Jahrhundert“ für Hamburg von Bedeutung. Vielmehr präsentieren sich hier, bei der wichtigsten Architekturschau Europas, Hamburger Büros in zentraler Rolle, wenn es um die entscheidenden Zukunftsfragen der innerstädtischen Stadtplanung geht: die Bebauung freiwerdender Gleisanlagen und die Neuorganisation der Städte um ihre Bahnhöfe herum.

So langsam, während die Richtungsentscheidungen schon zu fallen beginnen, schleicht sich dieses Thema endlich in seiner ganzen Tragweite in das öffentliche Bewußtsein. Und diese Ausstellung und der umfangreicher Katalog werden ihren Teil dazu beitragen.

Knapp drei Jahre ist es her, daß die Deutsche Bahn gemeinsam mit dem Hamburger Büro von Gerkan, Marg und Partner (gmp) damit begann, am Beispiel Stuttgart Gedankenspiele zu entwickeln, wie man durch die Untertunnelung der Innenstädte und die dadurch mögliche Abschaffung von Kopfbahnhöfen Fahrtzeiten verkürzen kann. Wie ein rollender Schneeball zum Schneemann wird, so entwickelte sich aus der ursprünglich einfachen Effiziensüberlegung eine Summe von sogenannten 21er-Projekten, die Städten wie München, Frankfurt oder Stuttgart neue Gesichter geben werden, wenn sie denn jemals realisiert werden. Denn die Bahn besitzt mit ihren Gleisanlagen riesige, potentielle Entwicklungsgebiete dort, wo der Boden am teuersten ist: in den Stadtzentren. Eine Freischaffung vom Zugbetrieb könnte eine ungeheure städtebauliche Dynamik mit all ihren positiven und negativen Effekten nach sich ziehen. Angesichts dieser Perspektive haben Wichtig- und Geldmenschen aus allen Bereichen Blut geleckt, bevor die Konsequenzen dieser möglichen Entwicklung überhaupt in ihren vielfältigen Beziehungen andiskutiert worden sind.

Jetzt, drei Jahre nach dem Zusammentreffen von Heinz Dürr und Meinhard von Gerkan, existieren für die drei genannten Metropolen bereits durchaus beklemmende städtebauliche Entwürfe von gmp und im Fall von Stuttgart bereits ein abgeschlossener städtebaulicher Wettbewerb, der auf der Ebene der Entscheider mit latenter Kurzsichtigkeit und großem Wohlwollen und auf seiten der Bürger mit berechtigter Angst und Zorn über die mangelnde Beteiligung kommentiert wird.

Die Dimension dieser neuen Pläne läßt sich als potenzierte Version der Gründerzeit beschreiben. Kilometerlange Stadtteile werden mitten in die Städte hinein neu erfunden. Dabei läßt sich das nötige Problembewußtsein sowohl bei den beteiligten Architekten als auch bei DB-Chef Dürr herauslesen, dessen Vorwort zu der Ausstellung sich wie ein Manifest zur verdichteten, gemischten, vitalen und ökologisch bewußten Stadt liest (auch wenn in der Präsentation dieser Faden nirgends aufgenommen wird).

Doch zeigt das Beispiel der Berliner Innenstadtbebauung, daß das Rauschen von Geldscheinen stets lauter ist als die kluge Rede. Und ohne das Votum der Investoren, die diese gigantische Umordnung finanzieren müssen, läuft bekanntlich nichts (und mit diesem wenig wirklich Erfreuliches).

Man kann die um die 21er-Projekte geführte Diskussion auf diesen wenigen Zeilen sicherlich nur streifen. Aber es ist mit Sicherheit so, daß die neuen Innenstädte des nächsten Jahrhunderts umso unwirtlicher, menschenfeindlicher und gelackter werden, umso reduzierter auf die ökonomischen Belange diese Stadtentwicklung betrachtet wird. Die Chance, die sich hier bietet, die komplexen Einsichten der Stadtplanung über die vernetzten Basiswerte einer lebenswerten Stadt in der Praxis umzusetzen, wird ohne eine breite gesellschaftliche Diskussion und politische Entscheidungen, die dieser folgen, kläglich vertan werden.

Vom architektonischen Gesichtspunkt überrascht die Show, die versucht, den ganzen Modernisierungsboom der Bahn von Wilhelmsburg bis Regensburg, von Leipzig bis Köln darzustellen, durch Gediegenheit. Nur ganz wenige Entwürfe – etwa der Plan von Ingenhoven, Overdieck für das Bahnhofsgebiet Essen – bemühen sich um zeitgenössische Formensprache. Dazu gehört auch der Entwurf des Hamburger Büros Bothe, Richter, Teherani für den Frankfurter Flughafenbahnhof, das UFO (Unbegrenztes Freizeit Objekt).

BRT sind neben gmp – die von allen deutschen Büros am tiefsten im Bahnhofsgeschäft stecken und vom Lehrter Bahnhof Berlin bis zum neuen Stuttgarter Bahnhof diverse Großprojekte realisieren werden – und Gössler Architekten – die in Erfurt und Hannover neue Bahnhöfe planen – das dritte Hamburger Büro, das von der Goldgräberstimmung im Schienenverkehrsbau profitiert. Während BRT den Bahnhof eindeutig als ästhetisches Objekt definieren und von dieser Warte aus den in Deutschland so seltenen, künstlerischen Weg wählen, versuchen Gössler Architekten ähnlich wie gmp, die Qualitäten wilhelminischer Verkehrskathedralen mit den Anforderungen an die optimale Vermarktung zu koordinieren. Glaubt man dem Trend, den die Ausstellung Renaissance der Bahnhöfe deutlich hervorhebt, so ist es diese technizistische Eisenbahn-Romantik, die das Gesicht der neuen Bahnhöfe prägen wird. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg, auf dem es hoffentlich nicht so geschmiert voran geht, wie es die Austellung Renaissance der Bahnhöfe assoziert. Till Briegleb

Die Ausstellung in Venedig läuft noch bis zum 17. November. Ein dicker Katalog, der auch jenen kritischen Zugang zuläßt, den die Ausstellung vermissen läßt, ist bei Vieweg erschienen und kostet 58 Mark.

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