Pfiffe und Ratschläge für Demirel

■ Menschenrechtsverletzungen in der Türkei bestimmen den Staatsbesuch. 200 Demonstranten vor dem Roten Rathaus

Der türkische Staatspräsident Süleyman Demirel ist gestern vor dem Roten Rathaus mit einem gellenden Pfeifkonzert empfangen worden. Etwa 200 DemonstrantInnen, darunter kurdische Gruppen, Angehörige verschwundener Türken wie Kurden und amnesty international, protestierten gegen die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei. Auf einem Transparent nannten die DemonstrantInnen die Türkei „das Land der Verschwundenen“, und auf Handzetteln verteilten sie die Aufforderung, beim Innenminister der Türkei gegen das „Verschwindenlassen“ zu protestieren. Eine Person wurde bei den Protesten festgenommen. Sie soll Demirel in türkischer Sprache beleidigt haben.

Süleyman Demirel war zum Roten Rathaus gekommen, um sich im Beisein von Eberhard Diepgen ins Goldene Buch der Stadt einzutragen, nachdem er am Mittag zum Auftakt seines Deutschlandbesuchs von Bundespräsident Herzog mit militärischen Ehren empfangen worden war.

Den Besuch Demirels nahmen auch die Fraktionen von Bündnisgrünen und PDS zum Anlaß, Gegenöffentlichkeit über die Verfolgung von KurdInnen und Oppositionellen in der Türkei zu schaffen. Bei einer Anhörung im Abgeordnetenhaus schilderten der Präsident des kurdischen Exilparlaments, Yasar Kaya, die Mutter eines „Verschwundenen“, Hatice Toraman, und verschiedene VertreterInnen von Menschenrechtsvereinigungen die Situation in den kurdischen Gebieten und der ganzen Türkei.

„Stellen Sie sich vor, Sie klopfen an eine Tür, gehen rein und kommen nicht wieder“, faßte der bündnisgrüne Abgeordnete Ismail Kosan das zusammen, was die Vertreterin von amnesty international, Heidi Wedel, als neue Qualität beschrieb: „In den neunziger Jahren hat sich das ,Verschwindenlassen‘ als neue Form der Menschenrechtsverletzungen in der Türkei etabliert.“ Da Demirel bei seinem Amtsantritt „gläserne Polizeiwachen“ versprochen habe, forderten die Teilnehmer der Anhörung von Roman Herzog und Eberhard Diepgen, auf Demirel politischen Druck auszuüben.

„Alles, was ich hier gesagt habe, soll an Herrn Demirel weitergeleitet werden“, forderte denn auch Yasar Kaya. Während die PDS- Fraktion den Empfang mit Süleyman Demirel boykottierte, wollte eine Delegation der Bündnisgrünen dem türkischen Staatspräsidenten am Abend einen Brief überreichen, in dem sie ihn auffordern, seine Versprechungen endlich wahrzumachen und sich für eine Verbesserung der Menschenrechtssituation in der Türkei einzusetzen. Sowohl Roman Herzog als auch Eberhard Diepgen hatten schon angekündigt, von Demirel die Einhaltung der Menschenrechte einzufordern. Barbara Junge