: Maos Ratschläge für die Genossen in der DDR
■ Ein wichtiger Dokumentenband über die chinesisch-ostdeutschen Beziehungen
Ende Juni 1967 standen die Westberliner Studenten noch ganz unter dem Schock der Ermordung Benno Ohnesorgs. Sie schwärmten in die Stadt aus, suchten vergeblich, die Bevölkerung aufzuklären, trotzten polizeilichen Demonstrationsverboten. Deshalb entging den meisten von ihnen das denkwürdige Ereignis, das sich am 28. Juni 1967 im anderen Teil der Stadt, vor der chinesischen Botschaft in Berlin-Karlshorst, zutrug. 250 Studenten der Hochschule für Ökonomie, allesamt folgsame Nachwuchskader, hatten sich vor der Botschaft „spontan“ versammelt, um gegen fünf Plakate zu protestieren, die die Botschaftsangehörigen an den Fenstergittern des Erdgeschosses befestigt hatten. Auf ihnen war unter anderem zu lesen: „Das Sterben unserer Genossen muß geklärt werden! Blut muß mit Blut beglichen werden! Nieder mit dem modernen Revisionismus“.
Hintergrund: In der Nähe von Neustrelitz war ein chinesischer Botschaftswagen frontal mit einem DDR-Lastwagen zusammengeprallt. Vier Chinesen, darunter der Geschäftsträger, starben. Die Botschaft glaubte nicht an einen Verkehrsunfall. Deshalb die Plakate, deshalb die Lautsprecherparolen „Es lebe Mao Tse-tung! Nieder mit dem modernen Revisionismus“, die auf die Karlshorster Studenten niederprasselten. DDR-Funktionäre, die in der Botschaft kondolieren wollten, wurden verprügelt. Es folgte ein erregter Notenwechsel, erneute Proteste, weil DDR- Ärzte die Toten ohne Beisein chinesischer Kollegen seziert hatten. Die Wände der Botschaft wurden nachts mit antimaoistischen Parolen beschmiert – die DDR-Wachsoldaten sahen tatenlos zu. Die so lange so herzlichen Beziehungen zwischen der DDR und der VR China waren auf dem absoluten Tiefpunkt angelangt.
Was damals geschah, kann jetzt detailliert nachgelesen werden: in dem Dokumentenband „Die DDR und China 1949 bis 1990“, den der Sinologe Werner Meißner, unterstützt von Anja Feege, herausgegeben hat. Die Dokumentensammlung ist teils chronologisch, teils nach Sachgebieten geordnet. Jedem Kapitel wird eine sorgfältig erarbeitete Einleitung vorangestellt, die auch demjenigen zur spannenden Lektüre verhilft, der nicht Jahre mit dem Studium der einschlägigen Kontroversen verbracht hat.
Als sich der Konflikt zwischen den chinesischen und den sowjetischen Kommunisten abzeichnete, versuchte die KP Chinas, durch demonstrative Unterstützung der DDR-Positionen, zum Beispiel in der Westberlin-Frage oder nach dem Bau der Mauer, die SED zur Opposition gegen die Sowjetunion zu ermuntern. Die chinesischen Kommunisten wollten ihren ostdeutschen Genossen klarmachen, daß Chruschtschow über ihren Kopf weg ein Berlin-Abkommen mit den Westmächten schließen würde (wie es unter Breschnew später tatsächlich geschah). Solche Einflüsterungen wären bei der SED auf fruchtbaren Boden gefallen – wenn ihre Existenz wie die der DDR nicht vollständig von der Unterstützung der Sowjetunion abgehangen hätte.
Die Dokumente, vor allem die Protokolle der Gespräche von DDR-Führern mit Mao beweisen, daß der große Vorsitzende ein viel realistischeres Verhältnis zu den Möglichkeiten der DDR hatte, als die SED-Führung selbst. Aber trotz dieser Einsicht trauten die chinesischen Kommunisten der SED eine begrenzte Konfrontation mit der Schutzmacht Sowjetunion zu. Dieser Irrtum basierte auf der chinesischen Theorie der drei Welten. Die DDR wurde der zweiten Welt zugeordnet, mithin der Zwischenzone, die sich gegen die hegemonialen Bestrebungen der Supermächte zur Wehr setzen würde. Um so tiefer, in den Dokumenten nachlesbar, die Enttäuschung der chinesischen Genossen über das Versagen ihrer deutschen Genossen.
Bevor es angesichts des offenen chinesisch-sowjetischen Konflikts zum Schwur für die ostdeutschen Kommunisten kam, hatte die Politik der KP Chinas bis hin zum „Großen Sprung“ und zur Errichtung der Volkskommunen unter den SED-Führern viele Freunde. Diese Sympathie beruhte zum Teil auf Mißverständnissen. Die SED- Dogmatiker nahmen nicht wahr, daß die KP Chinas nach dem Januar 1956 den Demokratisierungsbestrebungen in Osteuropa ziemlich nahestand. Als Reaktion auf die ungarische Revolution (deren Niederschlagung die Chinesen rechtfertigten) verfaßte Mao seine berühmte Schrift „Über die richtige Behandlung der Widersprüche im Volk“, die mit der stalinschen Herrschaftspraxis abrechnete. Auch ansonsten war die Kritik an Stalin, dem äußeren Anschein zum trotz, tiefgehender, als es Ulbricht lieb sein konnte.
Aber China hatte auch Freunde in der DDR außerhalb des Bannkreises der Mächtigen. Vielen Intellektuellen, darunter keineswegs nur Kommunisten, erschien Chinas Weg als authentischer Versuch des sozialistischen Aufbaus. Das traf auf Brecht, einen subtilen Kenner der Schrift Maos „Über den Widerspruch“ ebenso zu wie auf den verfemten ehemaligen Führer der „Rechten“ in der Weimarer KPD, Jakob Walcher, der auf seine alten Tage zum begeisterten Leser der Peking-Rundschau wurde. Vielleicht ist es das einzig kritikwürdige an diesem ausgezeichneten Dokumentenband, diesen tiefgehenden Einfluß des „chinesischen Weges“ auf die DDR- Kultur der fünfziger und frühen sechziger Jahre ausgeblendet zu haben. Christian Semler
„Die DDR und China 1949 bis 1990“. Hrsg. v. Werner Meißner, bearbeitet v. Anja Feege. Akademie Verlag, 466 Seiten, 198 DM
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