: „Reif für die Ehe“
■ Fünf Jahre ORB: Gründungsintendant Friedrich-Wilhelm von Sell über finanzielle Magersucht und Fusionszwang
Von Sell hob als Gründungsintendant vor fünf Jahren den ORB aus der Taufe. Der Sender begeht sein Jubiläum heute in Potsdam mit der Einweihung seines neuen TV- Zentrums. Ex-WDR-Chef von Sell lehrt heute an der Medienakademie Hannover.
taz: Der ORB sollte anders sein als andere ARD-Anstalten: Eine schlanke Anstalt. Konnte Schlankheit zum Ideal werden?
von SellFür das Wort von der schlanken Anstalt könnte ich mir heute die Zunge abbeißen. Denn schlank bedeutete nicht, daß man ausgezehrt mit Mühe seinen Pflichten nachkommt, sondern daß man den Apparat klein hält, aber im Umfeld kreativ und effektiv versucht, fette Beute zu machen. Diese Idee ist völlig mißdeutet worden in einer Zeit, die Sparen zum einzigen Unternehmensziel erklärt und die Inhalte verschwinden läßt. Die Tatsache, daß der ORB mit seiner betriebswirtschaftlich professionell geführten Organisation keine Mittel aus dem ARD-Finanzausgleich beansprucht, hat die ARD erst einmal nur entlastet. Ich glaube nicht, daß sie etwas daraus gelernt hat. Wenn die ARD gelernt hätte, würde sie nicht über Werbung nach 20 Uhr nachdenken. Das sind für mich Verluste an programmlichen und auch betriebswirtschaftlichen Unternehmenszielen.
Der ORB sollte auch eine eigene ostdeutsche Stimme im Konzert der ARD sein. Ist diese Stimme zu hören?
Es gehörte in dieses Konzept, „Antenne Brandenburg“, dieses geliebte, anerkannte und sehr wärmende Programm für viele Menschen in der Wende-DDR, nicht zu zerschlagen. Ich glaube, diese Art der Verläßlichkeit war für die Mitarbeiter und Hörer in der Zeit der Abwicklung eine komplett neue Erfahrung. Und ich glaube auch, daß das Experiment „Radio Brandenburg“ geglückt ist, die Verbindung von Pop und Barock, von witzigen und ernsten Inhalten, die wirklich unser Baby ist. Und „Fritz“ ist einfach ein Glücksfall für den ORB. Im Fernsehen sind Dinge wie die „Chronik der Wende“ absolut bahnbrechende Leistungen.
Das Kind ist fünf – was soll aus ihm werden?
Ich habe damals gesagt: Sechs Jahre muß die Anstalt solo bleiben, bevor sie eine Ehe mit den Berlinern eingehen kann, dann erst ist sie reif, sich gleichgewichtig zu behaupten. Die sechs Jahre sind fast um. Ich würde nicht zögern, die Fusion mit dem SFB jetzt, und zwar sofort, anzustreben. Ich glaube, daß vor der Politik die Sender durch ihre Intendanten und Gremien ein ganzes Stück dazu beitragen können. Man mag sich gegenseitig unausstehlich finden – ich glaube, gemeinsam wäre man unwiderstehlich. Das sollte man offen und ohne Tricks vorantragen und nicht erst auf Berlins Regierungsfraktionschef Landowsky (CDU) und seinen Brandenburger Kollegen Birthler (SPD) warten. Interview: Lutz Meier
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