: Intimität auf Augenhöhe
Das Hagener Karl Ernst Osthaus-Museum zeigt mit „vis-à-vis“, wie sich der Blick in der Kunst zumeist auf das weibliche Geschlecht richtet: Acht Prozent Kunst sind von Frauen, 88 Prozent der Nackten dagegen weiblich ■ Von Matthias Kampmann
Statistisch ist das Ungleichgewicht enorm. In Einzeluntersuchungen an bundesweit 15 Museen wurde ermittelt, daß im Schnitt nur drei bis fünf Prozent der gesammelten Werke von Frauen geschaffen wurden. Die Anzahl der dargestellten Weiblichkeit – meist nackt, natürlich – verzerrt das Verhältnis: Frauenmalende Männer beherrschen das Kunstbusiness. Für das Karl Ernst Osthaus-Museum in Hagen gelten ähnliche Verhältnisse: Acht Prozent Kunst von Frauen, 88 Prozent der Nackten sind weiblich.
Mit der provozierenden Frage „Müssen Frauen nackt sein, um ins Museum zu kommen?“ pointierten die Guerilla-Girls Ende der achtziger Jahre die Verhältnisse in den Kunsttempeln. Die Mitarbeiter des Hagener Museums durchforsteten also das Depot des Hauses, um das museale Mißverhältnis (321 von 4.066 inventarisierten Werken stammen aus der Hand von Frauen) mit Inhalten zu füllen. „vis-à-vis: Die kleinen Unterschiede“ kam als Ausstellung und Rechercheergebnis heraus.
Ernst und wichtig schauen sie drein, die gebildeten Herren. Bibliophile Kulturträger wie Karl Ernst Osthaus, porträtiert von Ida Gerhardi in dessen jüngeren Jahren, machen deutlich, wie die Kunstgeschichte die Rollen zwischen Mann und Frau im Bild verteilt hat. Vier dieser „männlichen“ Porträts rahmen eine Reihe von Darstellungen der Frau in der Natur. Schön nackt und nett sind sie anzusehen, die badenden Damen, scheinbar frei und unbekümmert in einer „ursprünglichen“ Idylle, gleichgültig, in welchem Stil sie auch dargestellt sind.
Man hat nach den entscheidenden Kriterien der Darstellung und Rollenverteilung der Geschlechter innerhalb der Kunst der letzten hundert Jahre gesucht. Dabei kam beispielsweise zum Vorschein, daß sich gewisse Topoi der Aktmalerei unabhängig von Stil und Zeit stereotyp wiederholen. Auch macht es keinen Unterschied, ob Frauen die Werke erschaffen. Oftmals gilt bei der Exposition der entscheidenden Körperteile die Regel: Arme hoch und Brust raus.
Die Schau ist spannend inszeniert und teilt sich in sechs Abteilungen: vom Künstler und seiner Muse bis zur Sammlung von Einladungskarten, die seit April 1995 das Haus erreichten und an die Wände des letzten Raumes tapeziert sind. Es zeigt sich, daß 15 Meter Männerkunst über zwei Meter Frauenausstellungen weithin dominieren. Es wird zudem immer wieder auf die Mitarbeit und den Spieltrieb der BesucherInnen gesetzt. Highlight ist der Lichthof des Hauses: Die Kunstwerke sind dort bewußt übertrieben inszeniert. So sind Skulpturen mit weiblichen Aktdarstellungen hoch aufgesockelt und nah an der Wand aufgestellt. Die Damen zeigen zunächst den Rücken. Die Titel sind an der Rückseite angebracht, so daß man durch den schmalen Gang an der Wand entlanggehen muß. Dies bringt die BetrachterInnen in eine aufdringliche Nähe zum Werk. Die intimen Details sind dann extrem nah und in Augenhöhe. Kunstbetrachtung und Voyeurismus.
Die politische Dimension des Körpers zeigt „Great American Nude“, von Dui Seid 1993 geschaffen. Der Titel zitiert Tom Wesselmans poppige Großbusen aus den Sechzigern. Formal spielt es mit verschiedenen Bildgattungen. Die pyramidale Anordnung der Gegenstände erinnert an eine Kreuzigung. Stillebenhaft ist der aufgeschnittene Torso in der Mitte, ein Topos, immer wieder gemalt, von Joachim Beuckelaer (1563) bis zu Francis Bacon. Links beherbergt eine kleine Vitrine die männlichen und weiblichen Geschlechtsteile. Sie ist mit der amerikanischen Flagge verdeckt und zugekettet. Vom Fleisch aus führt ein Schlauch in eine weitere Vitrine rechts: Er mündet in einen Staubsauger als Symbol der Reinlichkeit. In der Sprache der Gegenstände kritisiert die Arbeit die Zustände in Amerika, wo sich Geschlechtlichkeit auf einem Altar der Moral auflöst.
Auch die Rollenverteilung im Alltagsleben und in Extremsituationen erhielt ihre geschlechterspezifische Ausprägung in der Kunst.
Mutterschaft und Märtyrertum, diese polaren Rollen prägen die künstlerische Kriegsberichterstattung: Theodor Rochols gigantisches Schlachtengemälde von 1904; oder der Landser, aufmerksam wie ein Luchs, kurz vor dem entscheidenden Wurf der Handgranate – eine vollplastische Darstellung aus der Nazizeit. So etwas formiert den maskulinen Heldenwahn. Daneben die brutale Verstümmelung in einer Darstellung von Siegfried Neuenhausen. Andererseits ist Mutterschaft meist positiv konnotiert, Kritik findet sich eigentlich nur bei Käthe Kollwitz.
Die Ausstellung belegt die gesellschaftliche Objektivierung des weiblichen Körpers und das damit einhergehende Rollenverständnis, auch über die Kunst hinaus. Angenehm ist hierbei der spielerische Umgang mit dem Thema, der sich wohltuend von einer restriktiv-diktatorischen Haltung einer radikalen Political Correctness unterscheidet.
Kunstgeschichtlich interessant ist zudem die Vielfalt der Herkunft der Arbeiten. So erscheinen die Blickrichtungen der Dargestellten in den Bildern unabhängig von politischen Hintergründen, egal, ob sie unter einem Totalitarismus oder in einer Republik entstanden sind. Da hat der Bauer der Nazizeit eine ähnliche Autorität im Blick wie Karl Ernst Osthaus auf dem Porträt von Ida Gerhardi rund 30 Jahre früher.
„vis-à-vis: Die kleinen Unterschiede“. Bis 14.11. im Karl Ernst Osthaus-Museum, Hagen. Ein Katalog ist in Vorbereitung.
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