: Lahme Ermittlungen im Knast
■ Erst Wochen nach Überfällen auf mutmaßliche Sexualstraftäter in der U-Haft wird ermittelt sucht die Kripo nach Tätern
Im Bremer Knast regiert die Selbstjustiz. Innerhalb von vier Wochen wurden in der Untersuchungshaft vier mutmaßliche Sexualstraftäter übel zusammengeschlagen. Der Anstaltsleiter zuckt nur mit den Achseln. Er könne seine Gefangenen nicht schützen. Und erst Wochen nach den Vorfällen wird überhaupt ermittelt.
Hinter den Mauern in Oslebshausen und im Blockland sitzen rund 40 Sexualstraftäter ein. Wochenlang mieden beispielsweise zwei Inhaftierte in U-Haft den Kontakt zu anderen Häftlingen und den Gang zur Dusche – aus Angst vor der Brutalität von Mitgefangenen. Vier Männer, allesamt „wegen einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ in Haft, waren böse zusammengeschlagen worden: zerschlagene Rippen, gebrochenes Jochbein, Prellungen. In zwei Fällen überwies der medizinische Dienst die betroffenen Männer in städtische Kliniken.
Das ist Wochen her; zeitgleich kochte der Volkszorn über die grausamen Sexualmorde des Belgiers Dutroux hoch – und über Gewalttaten in Deutschland. Doch erst am Montag dieser Woche nahm die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen in Oslebshausen auf. Obwohl bereits in der vergangenen Woche Anfragen an die Justizbehörden eingegangen waren.
Noch letzte Woche spuckte der staatsanwaltschaftliche Computer nicht einmal einen Hinweis auf die Vorfälle aus. Dabei waren die Opfer immerhin per Eisenstange traktiert worden– das jedenfalls bestätigen Mithäftlinge und die Justizsprecherin einvernehmlich. „In solch einem Fall muß man von Amts wegen ermitteln“, bestätigt die Sprecherin des Justizressorts, Lutzebäck. Vielleicht nicht gleich wegen versuchten Totschlags – aber doch wegen gefährlicher Körperveletzung.
Eine namentliche Anzeige gegen den oder die vermeintlichen Täter hat bis heute niemand gestellt. In der Justizbehörde oder der Haftanstalt wundert sich darüber niemand. Es sei selten, daß Opfer sich melden, heißt es. Oder wenn, dann – wie in einem der Fälle – sehr spät. Noch seltener sei es, daß Opfer Mitgefangene namentlich beschuldigen – aus Angst vor weiteren Übergriffen. Lutzebäck will nicht ausschließen, daß die Opfer in den bekanntgewordenen Fällen deshalb angaben, mit dem Rücken zum Täter gestanden zu haben.
„Nach einem eigenwilligen Ehrenkodex stehen Sexualstraftäter in der Gefängnishierarchie ganz unten“, heißt es. Da geschähen öfter Übergriffe. Aber: Wer einmal vertrimmt wurde, sei damit meist durch. Das jedenfalls läßt der verantwortliche Anstaltsleiter Hoff über seine Pressesprecherin ausrichten. Betroffene, die sich in ihren Zellen aus Angst vor Mitgefangenen isolieren, sei deswegen auch mit einer Verlegung nicht zu helfen. In allen Knästen drohe ihnen Brutalität. Vollständig seien Gefangene nicht zu schützen. Die – in Hamburg auf Antrag mögliche – Verlegung auf eine Sicherungsstation gebe es in Bremen nicht.
Noch etwas gibt es in Hamburg allerdings nicht: Eine derartige Häufung von brutalen Angriffen auf Sexualstraftäter. „Das ist offenbar eine Bremer Spezialität“, sagt der Anstaltspsychologe Ingo Straube. Darüber habe er sich mit anderen norddeutschen KollegInnen verständigt.
Ob Beamte, wie von der Justitbehörde angegeben, in die Vorfälle nicht verwickelt waren, werden die Untersuchungen vielleicht ergeben. Darauf weise nichts hin, heißt es in der Justizbehörde – entgegen von Berichten von Häftlingen. „Ein Schließer hat die Tür geöffnet“, hieß es gegenüber der taz. ede
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