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Kurt Scheels LichtspieleEin Denkmal fürs Rädchen

■ Lob der Knallcharge: die man erkennt und liebt, ohne ihren Namen zu wissen

Wer von Wendell Corey spricht, darf von Thelma Ritter nicht schweigen. Will sagen: Ein besonderes Vergnügen ist es, im Laufe eines Filmeguckerlebens auch die Schauspieler hinter und neben den Stars zu erkennen und zu kennen: Ist das nicht Harry Carey junior? Der ist aber alt geworden! Und hat immer noch das kecke Jungsgesicht.

Oder eben Thelma Ritter, die mit Wendell Corey das „Fenster zum Hof“ ziert, als Krankenpflegerin von Jimmy Stewart, und die ihn so wunderbar strafend anguckt, wenn sie ihn „Spanner“ nennt. Diese kleine, freche Frau, die auch in „All About Eve“ oder in ihrer schönsten Rolle, „The Misfits“, sardonische Kommentare über die Helden und Heldinnen abgibt. Sie ist nicht hübsch, sie trinkt zuviel, sie ist ein bißchen bitter, aber mit Würde und Humor – sie ist, mit einem Wort, wie wir, und wir sehen ihr gerne zu, denn ihre Normalität geht uns nicht auf die Nerven wie die unsere, da sie den Film nicht dominiert, sondern eben nur den gewöhnlichen Hintergrund für den Auftritt des Helden liefert, auf daß dieser, wie gesagt, strahlen und glänzen darf.

Zwei Regisseure, die ich besonders liebe, haben im Laufe ihres Lebens regelrechte feste Ensembles aufgebaut: John Ford mit seiner berühmten „stock company“, zu der auch Harry Carey junior gehörte, nicht unbedingt wegen irgendwelcher schauspielerischen Fähigkeiten, sondern weil er der Sohn vom alten Harry Carey war, des Stars in den ersten Filmen Fords, und somit gewissermaßen qua Geburt Mitglied der Ford-Familie wurde. Oder Andy Devine – das ist der fette Kutscher in „Stagecoach“ und der lächerliche Sheriff in „Liberty Valance“; außerdem spielt er wahrscheinlich in 500 anderen Western mit, wie auch diese absurd häßliche Knallcharge, die jeder Ford-Liebhaber kennt, aber nur ich und jetzt auch Sie wissen, daß dies Jack Pennick ist (der Sergeant Schattuck in „Fort Apache“).

Der andere Regisseur mit Familienanschluß ist Preston Sturges, dessen Komödien zu den schönsten der Filmgeschichte gehören, und was wären sie ohne William Demarest? Immer noch sehr schön, aber als Knattermime in „Sullivan's Travels“ oder „The Lady Eve“ (er ist der Diener Henry Fondas) erfreut er uns zuverlässig: ein vertrautes Gesicht, da fühlt man sich nicht so fremd, was ja gerade heutzutage in der anonymen Massengesellschaft nicht zu verachten ist...

Alle schwärmen von Fred Astaire, aber was ist mit Eric Blore, der in „The Gay Divorcee“ und „Top Hat“ seine wunderbaren Auftritte als exzentrischer Kellner beziehungsweise Butler („We are Jones, Sir“) hat? Nur ein kleines Rädchen im Getriebe, aber es schnurrt doch recht schön und brav vor sich hin, und wenn es klemmt, dann können auch große Maschinen ins Stocken geraten...

Zur Familie zu gehören, hat bekanntlich nicht nur Vorteile. Man ist ihr ausgeliefert, und John Ford, der sich von seinen Jungs (Frauen gehörten natürlich nicht zu seiner „stock company“) tatsächlich „Pappy“ nennen ließ, war oft ein ziemliches Ekel, das seine Leute lustvoll quälte. In solchem Ausmaß war William Demarest nicht abhängig, aber da Regisseure nicht nur in Hollywood-Komödien Reitstiefel tragen und sich gerne recht hunnenhaft gebärden, ließ er Sturges beim Tischtennis sicherheitshalber immer gewinnen...

Halliwell sagt über Demarest, daß er zu denjenigen Schauspielern gehört, die das Publikum erkennt und schätzt, obwohl es ihren Namen nicht kennt, weshalb ihnen hiermit im Sinne Richard-Weizsäckerscher Erinnerungskultur dieses kleine Denkmal gesetzt wird.

Verachtet mir also die Knallchargen nicht, und damit mir niemand Hollywoodhörigkeit nachsagen kann, will ich auch gerne noch Oskar Sima und Kurt Großkurth erwähnen. Sie alle haben ihr Bestes gegeben, so wenig es auch war; aber wird man dermaleinst von uns anderes sagen können? Kurt Scheel

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