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Nie waren Arbeitslose so billig wie heute

Das neue Arbeitsförderungsgesetz definiert Arbeitslosigkeit völlig neu: Es treibt Erwerbslose in Schwarzjobs, bevorteilt Reiche und verbilligt die Arbeitskraft für Unternehmer  ■ Von Barbara Dribbusch

Berlin (taz) – Die 33jährige Redakteurin meldet sich erwerbslos, nachdem ihre Zeitung dichtgemacht hat. Sie bezieht 2.000 Mark Arbeitslosengeld und verdient im Monat als „Freie“ 700 Mark dazu. Als sie ihren Nebenverdienst beim Arbeitsamt angibt, wird sie dort sofort abgemeldet und ihr die gesamte Unterstützung gestrichen, samt Krankenversicherungsschutz und Rentenbeiträgen. Noch ist der Fall konstruiert, er wird aber Realität, wenn das Arbeitsförderungsreformgesetz (AFRG) umgesetzt wird.

Der AFRG-Entwurf der Regierungskoalition, der heute im Bundestag beraten wird, enthält eine neue Definition von „Arbeitslosigkeit“. Danach muß ein Arbeitsloser nicht nur per Definition „eine versicherungspflichtige Beschäftigung suchen“. Er darf auch höchstens nur eine „geringfügige Beschäftigung“ nebenbei ausüben. Die Geringfügigkeitsgrenze liegt im nächsten Jahr bei 610 Mark (Osten: 520 Mark) im Monat. Diese Grenze gilt auch für Selbständige. Wer als Arbeitsloser somit nebenbei mehr verdient als 610 bzw. 520 Mark, verliert künftig Arbeitslosengeld samt Sozialversicherungsbeiträgen. Bisher wurde das Nebeneinkommen anteilig auf die Unterstützung angerechnet, die Beschäftigung mußte nur unter 18 Wochenstunden liegen.

Selbst die Bundesanstalt für Arbeit kritisiert, daß mit diesem neuen Passus künftig hauptsächlich die Höhe des Entgeltes „über Eintritt oder Beendigung der Arbeitslosigkeit“ entscheidet. Arbeitslose werden damit in die Schwarzarbeit getrieben.

Besonders pikant, um nicht zu sagen dilettantisch, wirkt der Gesetzentwurf von CDU/CSU und FDP, wenn man sich die zusätzliche Definiton von „geringfügiger Beschäftigung“ im Sozialgesetzbuch anschaut. Danach liegt nämlich auch dann eine geringfügige Beschäftigung vor, wenn die Tätigkeit weniger als 15 Wochenstunden in Anspruch nimmt und der Verdienst nicht mehr als ein Sechstel des Gesamteinkommens des Erwerbstätigen ausmacht. Wer beispielsweise als Großgrundbesitzer arbeitslos wird und monatlich 3.600 Mark Miete kassiert, darf nach dieser Definition nebenbei 700 Mark verdienen und bekommt trotzdem Arbeitslosengeld.

Hier verkehre sich der Schutzgedanke des Sozialversicherungsrechts „völlig in sein Gegenteil“, bemängelt die Bundesanstalt für Arbeit. Die Sechstel-Grenze müßte daher bei der Geringfügigkeitsdefinition für Arbeitslose ausgeklammert werden.

Hohe Einbußen drohen nach dem AFRG vor allem älteren Arbeitslosen, die aus der Firma gekantet werden. Der DGB rechnete kürzlich vor: Ein 45jähriger mit einem Bruttoeinkommen von 4.300 Mark, der mit einer Abfindung in Höhe von 50.000 Mark seinen Betrieb verläßt, muß künftig mit 24.000 Mark weniger Arbeitslosengeld rechnen. Zum einen liegt dies daran, daß Abfindungen künftig nach Abzug von Freibeträgen auf die Hälfte des Arbeitslosengeldes angerechnet werden. Außerdem werden die Altersstufen für die verlängerte Anspruchsdauer von Arbeitslosengeld um jeweils drei Jahre erhöht. Bisher hatte beispielsweise ein 44jähriger Anspruch auf 22 Monate Arbeitslosengeld. Künftig wird er nur noch zwölf Monate lang Arbeitslosengeld bekommen und dann in die Arbeitslosenhilfe rutschen.

Das Herzstück des AFRG aber steht gar nicht in den Paragraphen, sondern in den Schlußvorschriften. Danach sollen die „Kann“-Leistungen zur Fortbildung, Umschulung und ABM drastisch reduziert werden. Bis zum Jahre 2000 sollen diese Ausgaben um fast ein Drittel gegenüber heute sinken. Statt ABM fördert das AFRG die Eingliederung in die Privatwirtschaft. Neugegründete Unternehmen mit bis zu fünf Beschäftigten erhalten nach den neuen Paragraphen ein Jahr lang die Hälfte der Lohnkosten für bis zu zwei Arbeitnehmer erstattet, wenn diese zuvor arbeitslos waren. Ost-Firmen können jeweils ein Jahr lang einen Zuschuß von 1.915 Mark monatlich für jeden neu eingestellten Arbeitslosen kassieren.

Mit der Förderung ist aber auch Druck verbunden, zu dem die verschärften Zumutbarkeitskriterien beitragen. Eine Arbeitslosmeldung gilt immer nur für drei Monate und muß dann persönlich erneuert werden. Arbeitslose können zu mehrwöchigen „Trainingsmaßnahmen“ gezwungen werden, um ihre Arbeitsbereitschaft zu „prüfen“. Das Arbeitsamt kann mit einem Arbeitslosen und einem Unternehmen zudem einen „Eingliederungsvertrag“ abschließen, laut dessen das Arbeitsamt die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall übernimmt. Der Eingliederungsvertrag gilt höchstens sechs Monate, der Arbeitslose kann jederzeit gefeuert werden, das Unternehmen aber dennoch die üblichen Eingliederungszuschüsse kassieren. „Die Gefahr des Abbaus von Arbeitnehmerrechten ist nicht zu übersehen“, urteilt der DGB. Für Unternehmen aber wird es so billig wie nie zuvor, Arbeitslose einzustellen.

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