piwik no script img

Melancholikers Leberhaken

■ Werner Büttner stellt seinen „Einseitig gedeckten Gabentisch“ aus

„...oder sollen wir es verändern?“ (Beuys/Christiansen)

„Wir haben Grund zu der Annahme, daß ALLE Avantgardisten im Kopfrechnen schwach, in Religion dagegen sehr gut hatten.“ (Werner Büttner)

Muß man ihn wirklich vorstellen, den 1954 in Jena geborenen, einstigen Jura-Studenten, ehemals wilden, deutschen Maler, der 1976 zusammen mit seinem Freund und Kollegen Albert Oehlen die „Liga zur Bekämpfung des widersprüchlichen Verhaltens“ und die LSDAP/AO gründete und seither ein Drahtseilgänger ist? So wünschen wir uns Hochschul-Vizepräsidenten. Kadaverexegeten aller Länder, vereinigt euch, ihr habt einen echten Geg-ner, der schreiben, denken, malen und trinken kann und euch das Lachen beibringen könnte: „ Marcel Duchamp ist ein Karl Valentin-Schüler.“

Der museal gesockelte Flaschentrockner als Kunstkomödie. Warum lacht eigentlich niemand? Für Werner Büttner zu recht eine der prägenden Tragödien dieses Jahrhunderts neben dem Kunstvorurteile bedienenden Picasso, denn, meint Büttner, „schöpferische Beeinflussung muß im Sinne von Gegenwehr aufgefaßt werden.“ Der Kommunikationszwang wird dem Melancholiker aus einsichtiger Notwendigkeit zum Leberhaken. Die Leber braucht er zum Trinken. Im Vienna sitzen, bei Wein über die Tragi-Kommödie des FC St. Pauli nachdenken ist ein ehrenwerter Zeitvertreib: Identitätssucht der Masse zwischen 1.Liga und Hochkapitalismus. „Einmal ganz oben stehen“, kommentiert Büttner in einem seiner Arbeiten die St.Pauli-Sehnsucht auf einer fiktiven Tabelle. Als Skulptur ver(b)holzen die St. Pauli-Spieler ihre Zeit im Liegen. Schön kryptisch, denn „Deutlichkeit, Verständlichkeit, Erkennbarkeit sind keine Werte an sich, sondern meistens Attribute der gemeinen Mitteilungshysterie“. Mitteilungshysterie bewirkt für den normalen Elch eine „prima Fluchthaltung“, wie die kleine Arbeit auf Papier aus dem Zyklus Desastres de la Democracia sinnlich zeigt: Goya grüßt fast wörtlich, Courbet schickt sozialistische Grüße aus Barbizon und freut sich über die Renaissance des Hirsches aus dem Geiste Monty Pythons.

Ja, Ja, die Kunstgeschichte. Sie ist eben doch Büttners Lieblingsgegner. Kenntnis- und Anekdotenreiches über den Verräter J.L. David, den wunderbar anmaßenden Michelangelo-Übermalenwoller El Greco, über Magritte und Polke weiß er zu Gehör zu bieten. Das alles begleitet von seiner kosmischen Lache. Ein Laut- Maler im besten Sinne des Wortes. Die besonders materialintensiven Hintergründe mit mondrianschen Raumteilern auf seinen mittleren Formaten sind pure Deutungsversuchung. Achtung Betrachter: Dahinter ist kein Raum mehr für dich. Der künstlerischen Melancholie wird alles gleich - gültig und der Betrachter gerät in Gefahr, darüber nachzudenken, was Schubert, Möller, Jacques Brel und Peter Green gemeinsam haben. Lebensgefahr. Da hilft kein Arzt oder Apotheker, nur der Kneipenwirt: „...und vielleicht ist die Kunstgeschichte nichts als eine Folge von Butterfahrten.“ An solcher Arbeit–Wahrheit-Trialektik kommt man nicht vorbei. Muß man dann noch erwähnen, daß Werner Büttner die Einladung zur Fisch-VIP-Party von Uwe Seeler dankend ablehnte? Zu Ente Lippens wäre er gegangen. Überhaupt sollte man sich seine malerischen Worte und wörtlichen Malereien endlich mal in Ruhe anschauen. Den Bildern ist es zwar egal, aber uns gefällt es immer mehr.

Gunnar F. Gerlach Galerie Klosterfelde, Admiralitätsstr. 71. Di-Fr 12-18 Uhr, Sa 12-15 Uhr bis Ende Dezember

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen