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Nigerias Militärregime tötet weiter

Ein Jahr nach der Hinrichtung Ken Saro-Wiwas sterben wieder Ogoni in Nigerias Knästen. Für die Gegner der Militärdiktatur gehört auch Shell an den Pranger  ■ Ein Plädoyer von Peter Emorinken-Donatus

Am 10. November 1995, genau um 10.30 Uhr MEZ, ließ das nigerianische Militärregime den Schriftsteller, Umwelt- und Menschenrechtler Kenule Saro-Wiwa zusammen mit Barinem Kiobel, Saturday Dobee, Paul Levura, Nordu Eawo, Felix Nuate, Daniel Gbokoo, John Kpuinen und Baribor Bera in Port Harcourt trotz internationaler Proteste hinrichten. Die Hingerichteten wurden der Morde an vier Ogoni-Chiefs, die sie angeblich begangen haben sollten, schuldig gesprochen.

Eigentlicher Ausgangspunkt der Hinrichtungen waren bzw. sind der friedliche Kampf der Ogoni für den Erhalt ihrer Lebensgrundlage und ihre Proteste gegen die fortschreitende Umweltzerstörung, die vor allem die Handschrift des Ölmultis Shell trägt.

Der Prozeß selbst war eine Farce; die Hinrichtungen eine Machtdemonstration des nigerianischen Regimes. So lautet das Gerichtsurteil, das die Exekution der Angeklagten besiegelte: „Obwohl Ken Saro-Wiwa unmittelbar an der Ermordung der vier prominenten Ogoni-Führer nicht beteiligt war, hat er aber den Mechanismus dafür geschaffen.“

Mit diesem „Mechanismus“ kann eigentlich nur die friedliche Kampagne gegen Shell gemeint gewesen sein. Owen Wiwa, der Bruder Ken Saro-Wiwas, rückte den Konzern damals weiter ins Zwielicht: Owen Wiwa sagte aus, daß er während des Prozesses an einem geheimen Treffen mit Brian Anderson, dem Chef von Shell Nigeria, und dem britischen Botschafter in Lagos, Nigeria teilgenommen habe. Shell habe seinen Bruder aufgefordert, ein Dokument zu unterzeichnen, wonach Ken hätte begnadigt werden sollen. Die Bedingung: Ken Saro- Wiwa sollte sich bereit erklären, seine Kampagnen gegen Shell einzustellen. Der Ogoni-Führer lehnte dies kategorisch ab. Shell- Chef Anderson bestätigte zwar, daß ein Treffen mit Owen Wiwa stattgefunden habe, dementierte aber, ein solches Dokument vorgelegt zu haben.

Shell hofft weiter auf die Befriedung der Region, der Konzern will auf seine wichtigsten Ölquellen außerhalb der USA nicht verzichten. 14 Prozent des von Shell geförderten Öls stammen aus Nigeria, der Anteil an den Ölreserven ist noch höher. „Warum sollten wir Nigeria verlassen? Es gibt noch für lange Zeit genug Öl“, sagte Anderson auf die Frage, ob Shell erwäge, das Land aufgrund der massiven Menschenrechtsverletzungen zu verlassen. Boykottaufrufe haben nur vereinzelt in Deutschland und den USA Resonanz gefunden. Einen Ölboykott der EU verhinderten die niederländische und britische Regierung. Und gerade erst hat Shell deutschen Journalisten ein Visum verschafft, um sich ein positives Bild von der Situation in Nigeria zu machen.

Derweil geht der Terror der Militärs weiter. Allein in der kleinen Provinz der Ogoni (500.000 Einwohner) sind 10.000 Soldaten stationiert, ausgerüstet auch mit Waffen und Material aus Deutschland. Der Terror hat Tradition. Im September 1993 überfielen nach einem Bericht von Missio aktuell 500 schwerbewaffnete Männer ein Ogoni-Dorf im Niger-Delta. „Sie jagten mit deutschem (!) Dynamit 53 Häuser in die Luft, erschlugen und zerstückelten 142 Kinder, Frauen und Männer. ,Hände weg von Shell‘, schrieben sie an die Häuserwände, bevor sie sich nach einer Stunde wieder ans andere Ufer des Flusses zurückzogen.“ Die Sunday Times berichtete, Shell habe zeitweise den Offizier bezahlt, der für die Niederschlagung von Ogoni-Unruhen verantwortlich sei. Shell bestreitet das, räumt aber ein, daß der Mann für den Schutz von Shell-Feuerwehrleuten Tagegelder erhalten habe.

Zirka 2.000 Ogoni haben bisher ihr Leben in Auseinandersetzungen mit dem Militär verloren. Schätzungen zufolge sind zirka 100.000 Ogoni gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. 1994 waren 19 weitere Ogoni zusammen mit den bereits Hingerichteten verhaftet worden und befinden sich seitdem in Haft. Ein von den Inhaftierten verfaßter Brief, der aus dem Gefängnis geschmuggelt werden konnte, gibt Aufschluß über die katastrophalen Haftbedingungen: permanente Folterungen, die Verweigerung von Nahrung und notwendiger medizinischer Versorgung. „Hier sind wir in Isolationshaft gehalten; in einer überfüllten und schlecht belüfteten Zelle (20 mal 28 Meter mit mehr als 120 Insassen). Wir schlafen auf Matten, die voll Zecken, Läusen und Wanzen sind, und dürfen nur zweimal in der Woche duschen – mit Wasser aus einem Brunnen, der bis vor kurzem als Massengrab für verstorbene Mitgefangene benutzt wurde.“ Einer der politischen Häftlinge ist vor kurzem verstorben, eine Information, die auch die Deutsche Shell bestätigte. Zwei andere sollen lebensgefährlich erkrankt sein. Man setze sich für die Gefangenen ein, heißt es heute bei Shell. Auf Nachfrage kann der Konzern aber nicht erklären, was Shell konkret unternommen hat, um den noch lebenden 18 Gefangenen zu helfen. Die in Köln laufende Ken-Saro-Wiwa-Woche soll mit Protestaktionen vor Shell- Tankstellen, Lesungen, Theateraufführungen, Filmen und Konzerten Druck auf den Konzern ausüben.

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